Samstag, 12.11.2005 | 21:37 Uhr
Autor: Odile
Gerade ein phantastisches Buch entdeckt: Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss. Von László Krasznahorkai.
Noch nie habe ich eine japanische Tempelanlage so beschrieben gelesen! Krasznahorkai hat die Atmosphäre der Tempel Kyotos – in diesem speziellen Fall handelt es ich um ein verlassenes Kloster außerhalb der Stadt – mit seiner Sprache eingefangen, ja in Sprache verwandelt. Das Buch zu lesen ist wie eine Geh-Meditation in einem Zengarten. Unglaublich, wie die Sätze durch die Höfe des Tempels schweifen. Sie erzählen beispielsweise vom Stein, aus dem die Oberfläche der Höfe gestaltet wurde, wie in „das glatte Weiß“ mit dem Rechen „parallele Wellen“ gezogen werden, „damit nicht einfach ein Abbild, sondern die Realität der paradiesischen Vollkommenheit entstehe, die sich zwar wie eine unruhige Meeresoberfläche zu präsentieren schien, da und dort mit schroffen Klippen und wirbelnden Wellen, die aber den Traum der nicht mehr zu steigernden Einfachheit des Schönen träumte, nämlich daß Alles ist und doch Nichts ist, daß die in unfaßbarer, schrecklicher Geschwindigkeit existierenden Dinge und Abläufe, eingesperrt in den endlos scheinenden Zwang des Aufblitzens und Erlöschens, dennoch eine Art atemraubender Beständigkeit aufweisen, die so tief ist wie die Hilflosigkeit von Wörtern angesichts einer unnahbar schönen, unverständlichen Landschaft, so wie das starre Hintereinander der Myriaden von Wellen auf der ungeheuren Ausdehnung des Ozeans, so wie ein Hof in einem Kloster, wo in der Ruhe einer gleichmäßig mit weißem Kies bestreuten und sorgfältig geharkten Oberfläche ein verschrecktes Augenpaar, ein irr gewordener Blick ein verschrobenes Gehirn sich erholen und erleben können, wie ein uralter, unformulierbarer Gedanke auf einmal zum Leben kommt und wie auf einmal ersichtlich wird: Dass es nur das Ganze gibt und keine Teile“. Zu lesen auf Seite 35 der deutschen Ausgabe, erschienen im Amman Verlag, 2005.
Man vergebe mir dieses lange Zitat, aber es zeigt mehr als jedes Wort von mir oder jemand anderem das Strömen dieser Sprache, das die Dinge nicht nur widerspiegelt, sondern in den Dingen selbst zu fließen scheint.
Muss weiterlesen, später vielleicht mehr.
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