Donnerstag, 23.08.2007 | 12:38 Uhr
Autor: andreaffm
Ich habe schon seit jeher ein gestörtes Verhältnis zu sogenannten Frauenromanen. Das begann schon in früherer Jugend mit den für die entsprechende Zielgruppe maßgeschneiderten Mädchenbüchern. Ich erinnere mich da etwa an Unsäglichkeiten wie Wirbel im Internat von Marie Louise Fischer oder, ganz grauenvoll, Pucki die Försterstochter von Magda Trott. Und wer von Euch anwesenden Damen erinnert sich nicht an den Trotzkopf, den Klassiker für junge Mädels, der zeigt, wie auch der ungestümste Wildfang noch irgendwie ehekompatibel hingebogen werden kann?
Mein ersten Frauenromane für Erwachsene waren Eva Hellers Beim nächsten Mann wird alles anders, an das ich mich nicht wirklich erinnere (kann also so schlimm nicht gewesen sein) und, mir bis heute unvergeßlich in seiner Dämlichkeit: Regina auf den Stufen der von meiner Mutter verehrten Autorin Utta Danella. Beide habe ich, das muß ich zu meiner Verteidigung anführen, in akuten Verzeiflungslagen gelesen: Im Familienurlaub. Meine mitgebrachten Bücher hatte ich durch, also griff ich zu dem, was meine Mutter eingepackt hatte, und das waren eben die erwähnten Machwerke. Danellas Roman ist im Prinzip die konsequente Fortführung der Fünfzigerjahre-Mädchenliteratur: Armes Flüchtlingskind wird Model, alles ist hohl und leer, und am Ende wird sie glücklich mit dem Typen, den sie auf den ersten zehn Seiten getroffen hat, nur mit besserem Haarschnitt.
Heute müssen sich Frauen nicht mehr groß verändern, um einen Mann abzubekommen. In der einschlägigen Literatur geht es vielmehr um sogenannte liebenswert-chaotische Frauen mit Macken, die gegen die blonde, langbeinige und jüngere Konkurrenz um Männer buhlen müssen und sich aufgrund ihrer Persönlichkeit (liebenswert-chaotisch) dann am Ende durchsetzen. Einen dieser sogenannten frechen Frauenromane habe ich tatsächlich einmal gelesen, und zwar Frisch gemacht von Susanne Fröhlich. Es war harte Arbeit. Ehrlich. Die Sprache holpert und stolpert sich durch Ikeawitze und Babyschwimm-Anekdoten, und mehr als einmal war ich kurz davor, das Buch an die Wand zu werfen und in der Ecke, in der es zu liegen kommt, einfach zu vergessen. Doch ich habe meine Konzentration zusammengekratzt und mich bemüht, das, was ich da lese, auch wahrzunehmen und zu verstehen. Ich vermute, mein Hirn schaltet bei dieser Art Trashzufuhr irgendeinen Schutzfilter ein. Es gab denn auch immerhin einen lesenswerten Absatz über die Hackordnung in der HR-Kantine, den ich mit Gewinn gelesen habe.
Wenn mir nach Herzschmerz mit Niveau ist, bieten sich ja immer die einschlägigen Klassiker an: Jane Austen, die Brontes oder auch mal Wilkie Collins – Die Frau in Weiß etwa ist eine großartige Räuberpistole, mysteriös und spannend, mit skurrilen Charakteren. Ich weiß nicht, wie gut die Übersetzung von Ingeborg Bayr ist, die von Arno Schmidt jedenfalls ist grauenvoll holperig. Dann lieber das Orginal lesen, das ist so schwer nicht.
Aber zeitgenössisches? Wird schwierig.
Fündig werden kann man im angloamerikanischen Raum: Ich für meinen Teil lese mich gerade durch die ziemlich locker-flockigen Bücher von Kathleen Tessaro. Sowohl von Elegance als auch von Für immer Dein (im Original: „Innocence“) fühle ich mich nicht unter meinem Niveau unterhalten. Zumindest auf englisch schreibt Frau Tessaro dem Sujet angemessen, nämlich elegant und mit vielen kleinen Beobachtungen. Und so manövriert sich Louise dank eines vierzig Jahre alten, in einem Antiquariat gefundenen Stilratgebers allmählich von der grauen Maus über mehrere Sackgassen aus ihrer Unzufriedenheit heraus. Der fiktive Stilratgeber der fiktiven Genevieve Dariaux, aus dem immer wieder „zitiert“ wird, gereicht ihr dabei zum Sparringspartner. Nette Unterhaltung für den Liegestuhl.
Deutlich düsterer ist ihr zweiter Roman „Innocence“. Evie, einst hoffnungsfrohe Schauspielschülerin, nun alleinerziehende Mutter und Kursleiterin für Laienschauspieler, ist reichlich desillusioniert von sich und vom Leben. Sämtliche künstlerischen Ambitionen hat sie abgeschrieben und sich auf ein Leben eingestellt, das um Alltagsmanagement und Geldverdienen kreist. Als aufrüttelndes Element, das sie aus ihrem Trott reißt, dient diesmal ein Geist, nämlich der ihrer ehemaligen Mitbewohnerin Robbie, die bei einem Autounfall umkam. Robbie, Schülerin an der gleichen Londoner Schauspielschule wie das damals naive amerikanische Landei Evie, war eine glitzernde Gestalt mit einem Talent dafür, sich in gefährliche Situationen zu bringen. Die beiden teilten eine Weile Tag- und Nachtleben, Alkohol und Träume vom Ruhm, bis Evie beschloß, erwachsen werden zu müssen. Bloß: Froh ist sie damit auch nicht geworden. Im Nachhinein erkennt sie, daß sie einfach immer den risikolosesten Weg des geringsten Widerstandes genommen hat. Erzählt wird das Ganze auf zwei Zeitebenen: Einmal die junge Evie, die aus Ohio nach London in die große Stadt kommt und der alles möglich scheint, und dann, über zehn Jahre später, die 33-jährige Evie, die glaubt, für sie sei ohnehin jeder Zug abgefahren.
Entspannend finde ich bei beiden Büchern, daß es nicht der Traumprinz ist, der im Mittelpunkt steht, daß es kein Mann ist, von dem jegliche Erlösungsvorstellungen ausgehen. Und daß es sich um Heldinnen handelt, die nicht passiv und eigenschaftslos in der Badewanne herumsitzen und Fußnägel lackieren, sondern Ambitionen haben und sich mit Dingen (Mode, Theater) auseinandersetzen, die größer sind als sie selbst und ihr kleines Bauchnabeluniversum.
Tips für Chick Lit, die man im Kopf aushält, bitte in die Kommentare.
Tags: Autorin, englisch, frauen, london, Roman
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26.08.2007 um 14:18 Uhr
Nur eine Kleinigkeit: Genevieve Dariaux ist nicht fiktiv. Der Ratgeber existiert und Tessaro hat nur dann fiktive Ratschläge eingebaut, wenn ihr Plot es erforderte. Der Ratgeber ist wunderbar…
26.08.2007 um 19:40 Uhr
Ah, also doch. Ich dacht nämlich auch, die gäbe es, bis ich bei Amazon gelesen hab, daß nicht. Dann hat’s Amazon falsch.
28.08.2007 um 16:21 Uhr
Zu dem Thema passt vielleicht auch Katharina Döblers Rezension ueber Susanne Heinrichs Frauen-Roman »Die Andere«.
http://www.zeit.de/2007/35/L-Heinrich
28.08.2007 um 20:20 Uhr
Chicklit mit Anspruch: Joan Aiken wäre eine Empfehlung.
30.08.2007 um 10:05 Uhr
Hm, Frau Heinrich gehört für mich ja eher in die Empfindsame-Fräulein-Diskussion. Da ist furchtbar viel Kunstwollen dabei, das dann nicht eingelöst wird.
Aber bei Joan Aiken habe ich mich auch nicht gelangweilt, das stimmt. Da kann man den Konjunktiv streichen, das IST eine Empfehlung.
30.08.2007 um 13:04 Uhr
[…] Diener macht ein ganz anderes Faß auf und schreibt für das Literaturwelt-Blog Überlegungen zu ihrem Verhältnis zur “Chick Lit” auf: Mein ersten Frauenromane für […]
30.08.2007 um 15:12 Uhr
Letztens beim Gespräch mit einem altem Kumpel am Phone: beide münden wir bei unseren ›Was liest Du grad?‹-Plausch ein in einem allgemeinen Lob für Jane Austen, die Papstin und Magna Mater nicht nur der der Chick Lit, sondern einer feinbeobachtenden, doppelbödig verplauderter Milieustudien- und Menschenkomödien-Literatur überhaupt.
Ansonsten kann ich als Kerl noch Anthonia S. Byatt und Annie E. Proulx nennen, auch wenn die beiden Damen wohl zu High-Brow sind, um wirklich als Chick Lit zu gelten. Ach ja: Dorothy Parker sollte immer erwähnt werden, wenn es um schreibene Frauen geht. Hab ich die Woolf vergessen? Naja, fast.
01.09.2007 um 14:27 Uhr
Ich finde die Rezension von „Halbnackte Bauarbeiter“ von Martina Brandl zwar viel besser als das Buch selbst, aber es soll sich jede selbst ihr Urteil bilden:
http://fm4.orf.at/gollackner/215069
01.09.2007 um 15:51 Uhr
alle 24 Bände Pucki hatte ich… sind auch wieder irgendwo verschwunden … aber gelesen habe ich sie alle.. genauso wie Felix Dahn komplett… was soll man machen wenn man kein Taschengeld bekommt aber ein überquellender Bücherschrank vieler Generationen zur Verfügung steht?
Das erste „Frauenbuch“ war das unsägliche „Tod eines Märchenprinzen“ und das war auch das letzte Buch. Ich bin der Meinung, daß es keine geschlechtsspezifischen Zielgruppen gibt (geben sollte…), ich betrachte mich als lesenden Menschen und nicht als lesende Frau
insofern kenne ich auch die aus Verzweiflung gelesenen Autorinnen nicht… ich fand auf Reisen immer irgendwelche amerikanischen Paperbacks, die wohl ebenso grauenvoll waren …
03.10.2008 um 10:12 Uhr
ähm, Entschuldigung,
den Stilratgeber „Eleganz“ von Genevieve Antoine Dariaux, den C.Tessaro zitiert gibt es tatsächlich, weder die Autorin noch das Buch sind erfunden. Es handelt sich dabei um ein hochinteressantes kostümgeschichtliches Dokument, das ich zum Lesen nur empfehlen kann. Allerdings ist es wohl nur noch in Antiquariaten zu finden, ich habe es zufällig in einer Bibliothek entdeckt.
13.05.2016 um 6:36 Uhr
Hallo,
Elégance von Kathleen Tessaro ist klasse. Ich hatte vorher keine großen Erwartungen an das Buch und war echt positiv überrascht.
Viele Grüße
Janin
https://janinliest.wordpress.com/2016/05/09/kathleen-tessaro-elegance