Dienstag, 05.01.2010 | 11:36 Uhr
Autor: JosefBordat
Gerald Hartung zur Frage: Was ist der Mensch? und Geert Keil zur Freiheit desselben. Zwei Neuerscheinungen in der Reclam-Reihe „Grundwissen Philosophie“ widmen sich Grundfragen des Genres
Einführungen beschäftigen sich mit Grundfragen. Zu zwei philosophischen Grundfragen gibt es nun kurze Einführungen: Gerald Hartungs „Philosophische Anthropologie“ und Geert Keils „Willensfreiheit und Determinismus“ widmen sich in der Reclam-Reihe „Grundwissen Philosophie“ dem menschlichen Selbstverständnis (Hartung) und der menschlichen Freiheit (Keil).
Gerald Hartungs „Philosophische Anthropologie“
Die Frage, in der nach Kant das philosophische Nachdenken zugleich mündet und gipfelt, wird in den letzten Jahren wieder vermehrt gestellt: „Was ist der Mensch?“ Eingedenk des Fortschritts in der Hirn- und Verhaltensforschung wird sie derzeit immer öfter neu beantwortet. Zunehmend scheinen die Biologen die Antworten zu geben, um die die Philosophen seit Jahrhunderten verlegen sind. Philosophische (oder biologische) Anthropologie ist in jedem Fall eine Schlüsseldisziplin. In jeder philosophischen, soziologischen, historischen etc. Fragestellung sind immer schon Grundvorstellungen wie Welt- und Menschenbilder enthalten bzw. spielen bei der Beantwortung eine Rolle – auch schon vor dem leitenden Erkenntnisinteresse (Habermas). Anthropologie gehört daher auf den Stundenplan.
Um die aktuellen Debatten um Willensfreiheit, Qualia, genetisch angelegte und gehirnphysiologisch verortete Empathie („Spiegelneuronen“) in ihrer Relevanz für die Frage nach dem Menschen nachvollziehen zu können, ist es wichtig, sich die Grundprobleme klarzumachen und die Konzepte zu kennen, um beurteilen zu können, ob sie in den neuen Menschenbildern richtig zum Einsatz kommen. Das Begriffsfeld, mit dem seit jeher das Wesen des Menschen zu markieren versucht wird (Gehirn, Intellekt, Geist, Seele, Bewusstsein), bietet bereits vor Eintritt in die Diskussion der Modelle und Vorstellungen enorme Schwierigkeiten, sind doch die Begriffe selbst unklar bzw. werden sie von den Akteuren äquivok benutzt. Manchmal sorgen die Autoren ganz bewusst dafür, dass ihnen weltanschaulich adäquat scheinende Begriffe die Semantik der Alternativkonzepte, die nicht zur Sicht der Dinge passen wollen, schlicht usurpieren, etwa dort, wo „Gehirn“ synonym für „Geist“, „Seele“ und /oder „Bewusstsein“ verwendet wird. Bevor es mit dieser wichtigen Begriffsanalyse losgehen kann, hat man sich um Metakonzepte zu kümmern, die das Diskursgebiet der Anthropologie noch weiter abstecken (Ursache, Grund, Wesen, Funktion, Substanz – um nur einige zu nennen). Mal ganz abgesehen davon, dass zu klären wäre, was „Leben“ bedeuten soll (Anmerkung: Hierzu verspricht das gleichnamige Buch von Andreas Brenner, das ebenfalls 2009 in der Reclam-Reihe „Grundwissen Philosophie“ erschien, eine kompetente Auskunft zu geben). Man ist geneigt, angesichts dieser Aufgabenliste die Flinte ins Korn zu werfen. Umso wichtiger sind gute Einführungen, die ein wenig Licht ins Dunkel des anthropologischen Denkens bringen. Die knappe Darstellung „Philosophische Anthropologie“ des Kulturphilosophen Gerald Hartung, Privatdozent für Philosophie an der Universität Leipzig, gehört dazu.
Da die zentralen Begriffe – ungeachtet ihrer teilweise reduktionistischen Deutung – philosophischer Natur sind, kann ein Blick in die Geschichte der philosophischen Anthropologie helfen, die nötige Ordnung zu schaffen (oder zumindest andeuten, wie sie zu schaffen sein könnte). Diesen historischen Blick nimmt Hartung nach einführenden Gedanken zum Aufgabenbereich der Anthropologie als Teildisziplin der Philosophie vor, um dann systematisch weiterzugehen. Hartung macht dazu den üblichen und heuristisch geschickten Zug: Er bestimmt mit den Denkern der letzten Jahrhunderte den Menschen durch Abgrenzung zu dem, was nicht „Mensch“ ist, von dem sich der Mensch in seinem Selbstverständnis aber nie ganz trennen kann: Gott, Natur, Kultur, Technik. Alle, die in der (philosophischen) Anthropologie Rang und Namen haben, werden kurz und bündig abgehandelt: Hegel, Marx, Kierkegaard, Nietzsche, Darwin, Scheler, Plessner, Gehlen, Hartmann, Dilthey, Burckhardt, Cassirer. Wer ein Referat zu einer der Herrschaften halten muss („Das Menschenbild von …“), wird fündig.
Schließlich beantwortet Hartung die zentrale Forschungsfrage der Menschheitsgeschichte so, wie man es von einem Philosophen erwartet: durch Nichtbeantwortung. Er macht damit deutlich, dass die Leistung der Anthropologie nicht in etwaigen Antworten auf die Frage liegen kann, sondern in deren Reformulierung eingedenk neuer Optionen, die flankierenden Konzepte zu bestimmen („Paradigmenwechsel“). Auch die Hoffnung auf rasche Antworten aus dem ungeduldigen Umfeld naturwissenschaftlicher, in Besonderheit neurobiologischer Forschung zum Menschen, muss enttäuscht werden, denn auch durch die (methodologisch fragwürdige) Überschreitung der Grenze von Natur und Kultur wird „das Problem des Sinnverstehens der je eigenen existenziellen Wirklichkeit […] nicht aus der Welt geschafft“. Ganz im Gegenteil: Das „Sinnproblem Mensch, seine abgründige Rätselhaftigkeit, [scheint sich] im Fahrwasser ruheloser Forschung am Mechanismus des Lebens noch zu verschärfen“.
Geert Keils „Willensfreiheit und Determinismus“
Eine uralte Frage hängt mit diesem Sinnproblem zusammen. Sie lautet: Ist der Mensch frei in seinen Entscheidungen oder vorherbestimmt durch die Gesetze seiner Natur? Auch hier gibt es neben der philosophischen die naturwissenschaftliche Sicht. Jüngste neurobiologische Befunde scheinen auf letzteres hinzuweisen: der Mensch ist determiniert. Andererseits legt uns unsere Lebenserfahrung nahe, dass wir uns ständig frei entscheiden, weil wir ja aus vorgegebenen Alternativen tatsächlich wählen. Vielleicht aber, so Vertreter des Determinismus, meinen wir nur, wir wählten frei. Es könnte mithin sein, dass wir tatsächlich einem festgelegten Programm folgen, das sich nach festgelegten Gesetzmäßigkeiten in unserem Gehirn als Resultat neuronaler Dispositionen entfaltet. Dies wiederum widerspricht unserem Selbstbild, was wiederum ein Hinweis darauf sein könnte, dass mit der Vorstellung selbst etwas nicht stimmt. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen sinnvoll weiterdenken?
Einen gelungenen Ausweg aus dem Dilemma leistet eine philosophische Analyse des Freiheitsbegriffs selbst. Wozu soll der Mensch frei sein? Zu einfachen Handgriffen oder zu komplexen Handlungen, die in einem Geflecht von Bedingungen stattfinden? Also: Um welche Freiheit geht es eigentlich? Um absolute Bindungslosigkeit oder um einen vernünftigen Entscheidungsspielraum innerhalb der Sphäre des Gegebenen?
Geert Keil, Professor für Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, nimmt dies in seiner einführenden Darstellung „Willensfreiheit und Determinismus“ auf. Er bestimmt die Freiheit, die Philosophen meinen als „libertarische Freiheit“ und verteidigt die so verstandene Willensfreiheit gegen alte und neue Determinismusargumente. Nach lehrbuchartigen Bemerkungen zu Inhalt und Stand der Debatte zeigt er durch die überzeugende Widerlegungen einiger „Determinismus-Mythen“, dass wir sehr wohl „auch anders können“, nämlich dann, wenn Entscheidungen zu komplexen Sachverhalten anstehen, bei denen es um das Abwägen von Gründen vor dem Hintergrund von Weltanschauung, Wertvorstellungen und Lebenserfahrungen geht. Auf Basis des libertarischen Freiheitsbegriffs formuliert Keil „Zehn Thesen“ zur Willensfreiheit, die in der provokanten, gleichwohl konsequenten Feststellung gipfeln: „Die Hirnforschung hat aus eigenen Mitteln nichts Relevantes zum philosophischen Freiheitsproblem beizutragen.“ Hirnforscher und Philosophen meinen eben unterschiedliche Dinge, wenn sie von „Handlungen“, deren „Bedingungen“ und von „Freiheit“ reden.
Fazit
Beide Bändchen, die in der Reihe „Grundwissen Philosophie“ bei Reclam erschienen, wenden sich an interessierte Laien, die sich rasch einen Überblick verschaffen wollen. Besonders nützlich ist die „Zeittafel“, in der die Debatten in historischer Perspektive skizziert sind. Wichtige Begriffe werden in einem Glossar erklärt und weiterführende Literatur in einer „kommentierten Bibliographie“ vorgestellt. Auch Studierenden werden die Texte für eine erste Orientierung hilfreich sein.
Bibliographische Daten:
Hartung, Gerald: Philosophische Anthropologie
Verlag: Reclam
Ort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2009
Seitenzahl: 143
Preis: 9,90 Euro
ISBN: 9783150203231
Keil, Geert: Willensfreiheit und Determinismus
Verlag: Reclam
Ort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2009
Seitenzahl: 160
Preis: 9,90 Euro
ISBN: 9783150203293
Angaben zum Rezensenten:
Josef Bordat (Jg. 1972) studierte nach seinem Hochschulabschluss als Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Ing.) Soziologie und Philosophie in Berlin und Arequipa/Peru. 2006 wurde er am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte der TU Berlin zum Dr. phil. promoviert. Bordat arbeitet als Publizist in Berlin.
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06.01.2010 um 12:01 Uhr
Danke und Glückwunsch für eine sehr informative, gut geschriebene Rezension. Alles Gute für Ihr Neues Jahr!
14.01.2010 um 10:49 Uhr
Danke für die gute Rezension. Vielleicht lässt sich der Tippfehler im Namen des 2. Autors in der Ueberschrift noch korrigieren (Keils statt Weils)?
18.01.2010 um 12:35 Uhr
Da sind die 10 Euro gut investiert.