Montag, 17.10.2005 | 19:34 Uhr
Autor: Regula Erni
In der F.A.Z.-Rezension vom 17. September schrieb Kolja Mensing über das jetzt preisgekrönte Werk „Es geht uns gut“, Geigers Buch sei ein Roman zwischen Vergessen und Erinnerung. Arno Geiger erzähle die Geschichte eines familiären Totalverweigerers. Seit seinem Debüt „Kleine Schule des Karussellfahrens” (1997) habe er immer wieder über Menschen geschrieben, die mehr oder weniger erfolgreich vor sich selbst davonlaufen. Darum dürfe auch der Held seines vierten Romans „Es geht uns gut” seine „familiäre Unambitioniertheit” mitsamt seiner Abneigung gegenüber der Vergangenheit über weite Strecken aufrechterhalten.
„Es geht uns gut” sei ein sehr überzeugender Beweis für ebendie Literatur, die gleichzeitig vom Vergessen und von der Erinnerung erzählen kann und der es mit den Mitteln der Fiktion manchmal gelingt, ein wenig von der verloren geglaubten Zeit als Möglichkeit zurückzugewinnen (siehe auch: and the winner is…).
FAZ
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17.10.2005 um 22:57 Uhr
Ich habe Arno Geiger im Sommer beim Literarischen Forum Oberschwaben kennen gelernt; sehr angenehmer Mensch. (Das muss man bei Autoren immer positiv hervorheben, es gibt solche und andere 😉 )
Und er hat dort einen sehr schönen neuen Text vorgestellt. Eventuell war das sogar was aus dem jetzt preisgekrönten Roman, den ich noch nicht kenne.
17.10.2005 um 23:27 Uhr
Geiger wirkt ja recht sympathisch; doch die Leseproben aus seinem Roman lassen mir die Haare zu Berge stehen. Wann endlich werden unsere Kritiker & Juroren begreifen, daß Literatur vor allem Sprache ist?
18.10.2005 um 8:20 Uhr
Also ich hatte sprachlich im Wangen nichts an ihm auszusetzen. die anderen behaupteten, er mische z.B. auktoriale und personale Perspektive und ich dachte schonb, ich hätte nen Knick im Hirn (jaja) und meinte dann: ‚Also nur, damit es gesagt ist: Da ist keien Mischung, das ist sauber personal.‘
Was er allerdings pflegt, und ich finde das nicht böse, sind Austriazismen. (Die Pasage fing IIRC an mit ‚Am Gang…‘ meinend ‚Auf dem Gang…‘. So what. 😉
Auf welche Auszüge beziehst Du dich (URL?) und was genau stört dich?
Jetzt fällt mir erst auf, dass „wirkt ja recht sympathisch“ komisch klingt 😉
18.10.2005 um 13:49 Uhr
Daß Geiger „recht“ sympathisch wirke, habe ich nur geschrieben, weil ich über einen Menschen, den ich bis jetzt nur 3 Sekunden im TV gesehen habe, vorsichtshalber nicht schreiben möchte, er wirke „sehr“ sympathisch.
Und der Text? Ich beziehe mich auf die Leseprobe bei Hanser. In deren erstem Absatz heißt es etwa, daß jemand „in die Auffahrt biegt“. Ist das auch ein Austriazismus? Oder nur schlechtes Deutsch? Und besteht auch schlechtes Deutsch nicht oft darin, daß es an unpassender Stelle umgangssprachliche Wendungen enthalt?
Wer „am“ statt „im“ schreibt, obwohl „am“ gemeint ist, oder „biegen“ statt „einbiegen“, und wer das als Lektor durchgehen läßt, der ist sprachlich nicht so kompetent, wie ein Autor, Lektor, Juror oder Rezensent es zu sein hat. Von Handwerkern & Technikern & Medizinern & Musikern wird schließlich auch Präzision verlangt. Weshalb sollten sich Autoren alles leisten können? Wenn einer falsches Deutsch schreibt, dann muß er es bewußt tun und dem Leser signalisieren, daß er es mit Absicht tut. Dies wiederum kann er nur, wenn der Leser darauf vertrauen kann, daß der Autor jedes seiner Worte bewußt gesetzt hat, wie ein Komponist einen Akkord.
Bezeichnenderweise gibt es immer mehr Bücher, worin sich dergleichen Fehler oder noch schlimmere häufen, und keiner merkt’s. So etwa sagte mir neulich eine junge Lektorin nach einigem Zögern, es sei künstlerische Freiheit, wenn Judith Hermann einen Nachtfalter an der Windschutzscheibe „zerschellen“ lasse. Ha! Von wegen! Es ist ganz einfach semantisch falsch. Und es ist peinlich, wenn unsere diesjährige Büchnerpreisträgerin schreibt: „ich fühlte, wie ein tröstliches Sicherheitsgefühl in mich eindrang“.
Was überall eindringt, ist – noch einmal! – ein schlampiges, schlechtes, zuweilen katastrophales Deutsch; zudem in literarischen Texten ein fürchterlich gekünsteltes. Geiger: „Der Wagen rollt aus und kommt kiesknirschend vor Ottos Tretauto zum Stehen.“ Was soll das Adjektiv? Ein Wagen kann knirschen; Kies kann unter den Rädern knirschen. Aber nichts in der Welt kann kiesknirschen.
Daß kaum noch jemand auf solche Feinheiten achtet, hat viele Gründe; bei den jüngeren Lektoren hängt es ganz offensichtlich damit zusammen, daß ihre Schulbildung keine bessere ist als die anderer Abiturienten. Zudem lesen immer mehr Leute hauptsächlich Übersetzungen ins Deutsche. Die zeichnen sich in der Regel nicht durch makelloses oder gar originelles Deutsch aus und hinterlassen schon lange ihre Spuren in den Texten unserer Jungautoren & Journalisten. Falsch gesetzte Konjunktive (typisches Übersetzerdeutsch: „er sagte, er war“ für „he said he was“) etwa sind vor allem aus diesem Grunde mittlerweise nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und das wurmt mich. Denn ich sehe nicht ein, weshalb Autoren, Lektoren etc. sich Schlampereien leisten dürfen, derentwegen man jeden Musiker auslachen würde und andere Leute ihren Job verlören.
Kurz: Literatur muß auch Sprachkultur sein. Das aber ist sie heute nur noch in den wenigsten Fällen. Und wer da sagt, es komme doch hauptsächlich auf den Inhalt an, der möge bitte die Bildzeitung lesen.
18.10.2005 um 20:34 Uhr
Nachdem ichden obigen Kommentar geschrieben hatte, klickte ich Spon an. Und siehe da: Volker Hage hat sich im gleichen Sinne wie ich zu Wort gemeldet … nur daß er Geld dafür bekommt und ich als Bloggerin noch draufzahlen muß. Verkehrte Welt.