Dienstag, 14.11.2006 | 19:12 Uhr
Autor: Odile
Die Lektüre des Romans „Die Frau mit dem Roten Herzen. Ein Fall für Oberinspektor Chen“ hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Ein wenig Enttäuschung vielleicht bleibt übrig. Aber auch ein träumerisches Gefühl. Das mag daran liegen, dass die Kriminalhandlung etwas länglich und verworren ist, das Poetische aber umso ansprechender, das Kulinarische, der Einblick in die sozialen Verhältnisse in China, die Geschichte der Kulturrevolution und das heutige Leben im Schatten der Partei um so spannender. Der Verdacht drängt sich auf, dass das eigentliche Thema des Romans nicht die Krimistory ist, sondern China und vor allem Shanghai.
Äußerer Rahmen ist aber ein Kriminalfall: In Shangai wird eine Leiche gefunden, ausgerechnet im Lieblingspark des Oberinspektors Chen Gao, der mehr oder weniger zufällig in die Polizeilaufbahn hineingeraten ist. „Im Rückblick erschien Chens Leben wie ein ironisches Durcheinander aus fehlgeleitetem yin und yang.“
Dennoch macht der politisch korrekte Kriminalbeamte Karriere und wird von Parteiskretär Li gefördert und bereits als Nachfolger gehandelt.
Chen ist eine moderne Figur; im Gegensatz zu seinen Kollegen befragt er nicht „jedesmal das I Ging“, bevor er einen Fall übernimmt. Er ist Mitglied im Schriftstellerverband und löst seine Fälle Gedichte rezitierend. Manchmal sind es seine eigenen:
„Ein riesiges Kontobuch öffnete ihn / des Morgens, Zahlen / bewegten ihn auf und ab / und den Abakus aus Mahagoni entlang / …“ zitiert der Feinschmecker und Feingeist beispielsweise während eines Essen im Lokal „„Moscow Suburb“. Häufig aber denkt oder zitiert er Verse von Su Dongpo: Das Leben ist wie ein Fußabdruck eines einsamen Kranichs im Schee. Einen Momenat lang sichtbar, dann schon verschwunden.
„Solche Zeilen drängten sich Chen oft in den schwierigsten Situationen auf. Er fragte sich selbst, warum er immer dann poetisch wurde, wenn das Verbrechen seinen Kreis enger um ihn schloß.“
Auch die LeserIn fragt sich und kommt zu dem Schluss, dass die Poesie nicht (nur) dekorativ ist; man könnte sagen, sie konstituiert einen Subtext.
Und letztendlich wird die Poesie zur Lösung dieses und eines weiteren Falls führen, mit dem Chen konfrontiert wird.
Denn seine Arbeit als Oberinspektor wird dadurch verkompliziert, dass er die Amerikanerin Catherine Rohn während eines Aufenthalts in Shanghai betreuen muss, die in ihrer Funktion als US-Marshal anreist. Es geht um einen Fall von internationaler Bedeutung. Ein chinesischer Kronzeuge wird vor einem amerikanischen Gericht in einem Prozess um Menschenschmuggel aussagen – aber nur wenn seine Frau aus China ausreisen kann. Die aber ist verschwunden.
Auf Wunsch der Parteiführung muss Chen mit Catherine zusammenarbeiten, was im Klartext heißt, dass er sie ablenken und ihr als perfekter Gastgeber ein perfektes China vorführen soll. Was in mancher Hinsicht mißglückt und den parteitreuen Chen in diffizile Situationen bringt. Wir als LeserInnen lernen viel dabei. Mit Catherine – „In ihrem weißen Kleid sah sie aus wie ein Apfelbaum, der in der Aprilsonne Shanghais seine Blüten entfaltet“ – erfahren wir Wissenswertes über guanxi, das qing-ming-Fest, huashigang, huangzhizhi und jiaozi –Teigtäschchen.
Was sich während der Lösung des Falls zwischen Chen und Catherine entwickelt, dürfte eine der zartesten und dezentesten Liebesgeschichten der Literatur sein, übertroffen höchstens von der Princesse de Clèves. Chen lässt die Poesie sprechen und die Zeilen„(..) wir können den Tag nicht /
hinüberretten vom alten Garten / auf ein Albumblatt“ sind so ungefähr das Direkteste, was er zu Catherine in dieser Hinsicht sagt.
Was das Kulinarische betrifft, ist der Roman weniger zartfühlend, es wird viel und alles Mögliche gegessen, aber Catherine, eine Sinologin, zuckt nicht mit der Wimper, während sie lebend gedämpften Fisch, Schwalbennester und Suppen aus Hühner- und Entenblut isst. Der Oberinspektor immerhin hat gewisse Schwierigkeiten, Schlangenblut zu trinken und grüne Schlangengalle in Schnaps zu sich zu nehmen, die ihm im Lauf seiner Ermittlungen in einem Karaoke Club gereicht werden.
In sprachlicher Hinsicht erfreuen nicht nur Gedichte die LeserInnen, sondern auch konfuzianische und taoistische Weisheiten, Metaphern und nicht zuletzt chinesische Sprichwörter und Redewendungen, etwa wenn Wachtmeister Wu, der zuverlässige Mitarbeiter Chens, beim Anblick eines Paares denkt: „Sie sahen aus wie Krebse, die man auf dem Markt mit Stroh zusammenbindet. Vielleicht hatten die beiden wirklich etwas füreinander übrig“.
Der Sprachfluss insgesamt, der Sprachrhythmus allerdings scheint manchmal etwas hölzern, aber das mag an der Übersetzung liegen, vielleicht aber auch am Original, das man lesen werden muss, um dies zu ergründen. Auch die Figuren wirken etwas zu stilisiert, aber man verzeiht dem Autor manches, der seine Figur Chen Dinge sagen lässt wie: „Zimmer sind wie Frauen, dachte Chen, man darf sie nicht miteinander vergleichen.“
„Die Frau mit dem roten Herzen“ (das Geheimnis des Titels wird erst im Laufe des Romans gelüftet und da hat man den Titel schon lang vergessen) ist ein sehr lesenswertes Buch, nicht unbedingt wegen des Krimisettings, sondern wegen der Einblicke in die chinesische Kultur. Die Lektüre würde sich auch allein wegen der vielen Metaphern und Gedichtverse lohnen, die nicht nur von chinesischen Dichtern stammen: „die Meerfrauen singen, eine für die andere, aber keine für ihn“, denkt Chen mit Eliot am Ende, und mehr soll hier nicht gesagt werden.
Qiu Xiaolong, Die Frau mit dem roten Herzen (engl Orignal A Loyal Charakter Dancer). Ein Fall für Oberinspektor Chen, 2002, Übersetzung Susanne Hornfeck.
Qiu Xiaolong, 1953 in Shanghai geboren, Übersetzer, Lyriker, Literaturkritiker, reiste 1988 in die USA, kehrte nach dem Tiananmen-Platz-Massaker nicht mehr zurück. Er lehrt an der Washington Universität St.Louis chinesische Sprache und Literatur.
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15.11.2006 um 17:13 Uhr
Vielen Dank. Kommt sofort auf die Leseliste!
Wer sich für chinesisches Leben interessiert, dem ist auch sehr folgendes Buch zu empfehlen:
Chinese Lives: An Oral History of Contemporary China von Zhang Xinxin, Sang Ye, ed. W.J.F. Jenner and Delia Davin
Eine Sammlung von Geschichten, die auf Interviews basiert, die Zhang und Sang in den 80iger Jahren – also nach der Kulturrevolution und dem Grossen Sprung, aber noch in der Dämmerung der Öffnung gen Westen – mit allen möglichen, ganz gewöhnlichen Leuten kreuz und quer im Land geführt haben.
Zhang Xinxin ist auch Jahrgang 1953 und Sang Ye ist Jahrgang 1955.