Donnerstag, 12.07.2007 | 12:16 Uhr

Autor: Serendipity

Differenzierung

Sonja Zekri berichtet in der Süddeutschen von Günter Wallraffs Plänen in einer Kölner Moschee Salman Rushdies Satanische Ferse zu lesen.

Wallraffs Bekenntnis-Erpressung aber, die Maximalforderungen als Entgegenkommen ausgibt, ist ein wunderbares Beispiel für einen scheinheiligen Aufklärer-Gestus, einen populistischen Gratis-Mut, der sich dem Zeitgeist gerade nicht entgegenstemmt, sondern nur den Stammtisch munitioniert. Wenn die Rushdie-Lesung gelänge, hatte Wallraff treuherzig gesagt, könne dies „wirklich ein Durchbruch“ sein.

Und ich stimme Frau Zekri zu, so sehr ich dafür stehe, dass jeder schreiben oder sagen kann was ihm passt. Es ist eine Sache für Meinungs- und Schreibfreiheit zu kämpfen, es ist eine andere Sache einen umstrittenen Schrifsteller eine noch viel umstitteneren Ehre zu erteilen, aber es steht auf einem ganz anderen Blatt jemanden mit einem Schriftstück würgen zu wollen, von dem man weiss, dass es ihn beleidigt. Differenzierung meine Damen und Herren!

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12 Kommentare

  1. Regula Erni Says:

    Da kann man in guten Treuen eine andere Meinung vertreten. Man kann nicht immer und immer wieder versichern, wie tolerant der Islam oder der Ditib wäre und zugleich der Fatwa gegen Sir Salman zustimmen – ohne den Inhalt des „verdammenswerten“ Buches zu kennen.

  2. Serendipity Says:

    In keiner Weise stimme ich der Fatwa zu. Auch über die Toleranz der Weltreligionen kann man diskutieren. Ich bin auch gerne bereit mich auf ein Gespräch über das literarische Werk Salman Rushdies einzulassen oder ob ein Ritterschlag nun wirklich eine Ehre ist oder nicht (oder gar als Anerkennung eines literarischen Werks angesehen werden kann).

    Aber ich glaube nicht, dass man, um Meinungsfreiheit zu vertreten (Buch gelesen oder nicht), jene Leuten, die einen Text als beleidigend empfinden, zwingen muss diesen Text in einem ihnen als ‚heilig‘ geltenden Ort vorgelesen zu bekommen.

    Warum läd Herr Walraff nicht Muslime ein sich vor/neben der Moschee oder in einem öffentlichen Ort zu treffen und das Werk Salman Rushdies zu lesen? Natürlich bin ich dafür das diese Werk gelesen wird, diskutiert wird!

  3. Regula Erni Says:

    Wallraff beweist Zivilcourage, die Zivilcourage, die so vielen abgeht. Die Moschee ist kein Sakralbau, kein heiliger Ort; die Moschee ist ein Versammlungsort, ein Ort der Begegnung, des Handels, ein Ort des Austauschs, der, das sagen die Vorsitzenden von Dibit, jedem offensteht.
    Es macht keinen Sinn, wenn wir versuchen, aus einer Moschee etwas zu machen, was sie nicht ist: einen heiligen Ort.

  4. bonaventura Says:

    Wallraff ist PR-notgeil, das ist alles. Das ist wieder mal eine seiner Aktionen, um in den Medien präsent zu sein. Wann setzt sich eigentlich die Einsicht in Deutschland durch, dass Wallraff ein Windei ist?

  5. dirk Says:

    Mit anderen so umgehen, wie sie es mir tun, statt so, wie ich will, dass sie mir tun, ist bereits der Krieg, weit jenseits des Gesprächs. Zudem ist man in solchem Reagieren unfrei, Marionette der Kriegslogik.

    Mir wird heute oft erzählt, wer für Toleranz einträte, stünde auf der Seite des Übels. Die Aufklärung muss wohl leider für ihre Verteidigung geopfert werden. Aber Aufklärung steht gegen jede kriegerische Ideologie, also auch gegen ihre eigenen Soldaten.

    Nichts gegen Kritik an Regimen und Religionen, und Herr Wallraff darf gerne demonstrieren, dass manche weniger tolerant sind, als sie sagen. Das beweist, wenn es gelingt, genau dies, sonst nichts. Nichts Neues.

  6. molosovsky (Alexander Müller) Says:

    Hab ich was überlesen, oder wo wird (von wem) behauptet: »Wallraff erpresst uns«? Ist diese Aussage nicht eine ›Gutemenschen‹-Überreaktion der Hineininterpretin Sonja Zekri für die SZ? Zerki schrieb:

    »Der Moschee-Trägerverein Ditib habe erklärt, er wolle sich öffnen für kulturelle Veranstaltungen, so Wallraff.«

    Kann man da schon ableiten, daß Wallraff in bester Chuck Norris-Manier die Ditbib vor die Wahl stellte, so etwa: »Entweder Ihr lasst mich lesen in der Mosche, oder ich tret eine Mordsempörungs- und Anklagkampagne gegen Euh los?«

    Grundsätzlich: egal ob fundamentalistischere, radikalisierte Religiöse in der Mehr- oder Minderheit sind, diese übertriebene Rücksicht auf deren ›religiöse Empfindlichkeit‹ wie sie Zekri anmahnt, ist völlig Fehl am Platze. Rushdie ist ja kein Radikaler, der zu Mord und Todschlag aufruft, sondern z.B. als Autor der »Satanischen Verse« einer, der mit den Mitteln der Satire und der Phantastik über die empörenden Vernageltheiten, Verklemmungen, Heuchelein und Abstrusitäten von Religion fabuliert. Wie kann man in Europa noch oder wieder die Seite der Verbietenwoller einehmen (egal aus welch gutmeinenden Gründen man das tut)? Modernes Leben ist für die zurückgebliebenen, sozusagen ›ewiggestrigen‹ Religiösen nun mal Stress, Hektik, Fußpilz en grosse. Entsprechenden Religiösen sollte anders beigestanden werden, als damit, sich in deren Namen mal vorsorglich uffzuregen.

    Immerhin freu ich mich über die lustigen Witze, die Zekri mit Vergleichen bietet.

    Der Vatikan könnte seine Nächstenliebe durch einen ökumenischen Schwulengottesdienst im Petersdom beweisen; Synagogen sollten sich samstags endlich der Vorführung von Mel Gibsons umstrittenem Jesus-Film „Passion“ öffnen; und in Hindu-Tempeln könnte eine zünftige Steak-Party einen echten Durchbruch bedeuten.

    Bei dem Hindu-Tempel-Beispiel kommt Tieretöten, Blut, Fleischverzehr direkt aufs Tapet, weshalb auch ich hier eingestehe, daß man das Ansinnen einer Steakparty eine unerträgliche Zumutung darstellt. Bei Schwulengottesdienst und Movie-Kreuzweg aber seh ich weit weniger Grundlage für eine berechtigte Empörung der Religiösen. Schwulsein und Filmegucken ist nun mal was anderes, als das Schlachten von Säugern.

    EDIT-Nachtrag:
    Vielleicht hängt wieder mal alles davon ab, welche Zeitung man liest. Die »TAZ« berichtet in »Satanische Verse in der Moschee« nachvollziehbar folgendes: In Köln wollen Muslime eine Moschee bauen. Der Günni findet das gut, denn die Moschee soll ja auch für kulturelle Veranstallungen dienen. »Ich les Euch den Rushdie, denn die meisten Muslime kennen dessen Skandal-Roman ja gar nicht.« Der Dialogbeauftrage der DITIB, Bekir Alboga, findet die Idee vom Günni toll, muß aber noch den Vorstand überzeugen. — Der TAZ-Artikel endet mit einem Wallraff-Zitat:

    »Wenn alle Muslime so wären, hätten wir längst einen toleranten liberalen Euro-Islam im allerbesten Sinne.«

    Ich frage mich, ob es sein kann, daß sich hinter Zekirs lustig verpackter Bedenkenhuberei folgendes verbirgt: die Muslime sollen hierzulande keinen Raum bekommen und keine Gelegenheit, um sich heftig über Fragen des Verhältnises Sacrales/Sekuläres zu streiten. Was ist, wenn trotz Polizeitschutz was Schreckliches passiert? Diese Angst teile ich sogar, wenn auch mit folgender Note: Das wäre für Stasi 2.0-Wolfgang ja ein feines Argument, um seine Kontrollstaatambitionen durchzuhebeln.

    Ansonsten: Für mich hat ›Nachhilfe‹ zum Thema »Wie ich über die Behämmertheiten meiner eigenen Religion lache« gegenüber unsinnigen Frömmler-›Empfindlichkeiten‹ Vorfahrt. Das mag im Mittelalter mal anders gewesen sein, aber hier ist nicht Mittelalter (zumindest nicht laut Prospekt und sicherlich nicht nach dem Selbstverständnis der Westler, Europäer, Deutschen oder Kölner). ›Brave‹ Christen im Westen haben ja immerhin auch mittlerweile gelernt, zusammen mit Sekulaen über »Father Tad«, der Biemosl Blosn, und entsprechende Juden lachen mit/über z.B. Mel Brooks, Woody Allen und Sasha Cohen (Borat).

  7. Christoph Says:

    „Schwulsein und Filmegucken ist nun mal was anderes, als das Schlachten von Säugern.“ – hier beginnt schon die Intoleranz, denn was empörend ist und was nicht, das liegt im Auge des Betrachters bzw. in den Grundsätzen der betreffenden Religion.
    Und wer vermeint, die katholische Kirche würde als „aufgeklärte westliche Religionsgemeinschaft“ Ähnliches zulassen, der überschätzt mal wieder unsere eigene Kultur. Hab ich erst vor kurzem am eigenen Leib erlebt, als ich wegen einer wirklich harmlosen Heiligenverunglimpfung als Museumsführer gefeuert wurde…

  8. molosovsky (Alexander Müller) Says:

    Okey, im Job sollte man seine Privatmeinung zurücknehmen. Andererseits gehen nicht wenige Leute selber als Besucher ins Museum, um ein wenig herumzuscherzen. Drittens fütterst Du, Christoph da ein auf Erfahrung gestützes Vorurteil von mir: im Kulturbereich arbeiten leider nicht nur so tolerante Kulturmenschen, sondern leider auch ganz schön verklemmte Deutungshoheitstyrannen. Da hab ich schon Leut erlebt, die hätten gerne wieder diese stundenlang stillstehenden schweigenden Diener an den Türpfosten stehen.

  9. dirk Says:

    Und kulturblog.ch meldete: Muezzin ruft vom Kirchturm.

  10. Regula Erni Says:

    Immer noch nichts gegen Wallraff und die Probe aufs Exempel. Aber zur Religiongsfreiheit gehört auch die Freiheit, keine Religion zu praktizieren; zur Meinungs- und Informationsfreiheit gehört die Freiheit, keine Meinung oder eine die der Mehrheit widerspricht, zu haben, sich zu informieren oder eben sich nicht informieren zu wollen. Jeder muss die Möglichkeit haben, ein Buch, eine Zeitung lesen, Karikaturen betrachten zu können, ABER keiner kann dazu gezwungen werden. Wenn die Muslime ihre Moschee nicht für eine Rushdie-Lesung bereit stellen wollen, ist das ihr gutes Recht.
    ABER sie haben kein Recht, mich daran zu hindern, eine Rushdie-Lesung zu besuchen, Rushdie an einer Lesung zu hindern und ihn oder irgendeinen Autor zu bedrohen, wenn er etwas sagt/schreibt, das sie nicht lesen mögen.
    Mir passt die Behauptung Zekris Wallraffs Bekenntnis-Erpressung aber… nicht in den Kram und auch nicht das Hochstilisieren einer Moschee zu einem Heiligtum.
    @dirk zum Ruf des Muezzins vom Kirchturm: der Künstler hat es versäumt, einen wirklichen Muezzin vom Kirchturm rufen zu lassen; so hörten wir nur eines: Lärm und Klamauk

  11. dirk Says:

    Liebe Regula, da ich die Freiheit nutze, keine Religion zu praktizieren, höre ich stets Lärm und Klamauk.

  12. Regula Erni Says:

    Nachtrag: Die Reaktionen
    auf Wallraffs Vorschlag – Cohn-Bendit verhält sich gar nicht künastkonform…

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