Dienstag, 19.12.2006 | 18:24 Uhr
Autor: Serendipity
Habe gestern Horváths ‚Glaube, Liebe, Hoffnung’ in den Münchner Kammerspielen gesehen: eine Wonne! Sehr zu empfehlen!
Ganz im Sinne Horváths, spielt sich Stephan Kimmings Inszenierung mit hochdeutsch unterdrücktem Bayrisch etwas hölzern an. Es gewinnt jedoch ohne Pause an Energie bis es den Zuschauer zwischen Lachen und Weinen mit einem hysterischen Ausbruch in jener Dunkelheit zurücklässt, aus der es zuerst ins Licht trat.
Das Bühnenuniversum aus nasser, weißer Folie und Plastikvorhängen hilft der Beweisführung der kleinbürgerlichen Tragödie „aus der Harz-IV-Welt“ (SZ 18.12.06, Seite 1) ebenso, wie die cinematografischen Lichtunterbrechungen zwischen den Szenen. Intensiv und gelungen.
„Wie in allen meinen Stücken versuchte ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl die vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der es sich manchmal einbildet, nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne dich bitte selbst! Auf daß du dir jene Heiterkeit erwirbst, die dir deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiß nicht über dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter dich stellt, so daß du dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! –„
Ödön von Horváth, Randbemerkungen zu ‚Glaube, Liebe, Hoffnung’ 1932
„Nun besteht aber Deutschland wie alle übrigen europäischen Staaten zu neunzig Prozent aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürger (…) Will ich also das Volk schildern, darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern als treuer Chronist meiner Zeit, die große Masse. Das ganze Deutschland muß es sein! (…)
Dialekt. Es darf kein Wort Dialekt gesprochen werden! Jedes Wort muß hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so, wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden (…)
Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog, die ich mit ‚Stille‘ bezeichne — hier kämpft das Bewußtsein oder Unterbewußtsein miteinander, und das muß sichtbar werden. (…)
Alle meine Stücke sind Tragödien — sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche muß da sein.“
Ödön von Horváth, ‚Gebrauchsanweisung’ 1932
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