Freitag, 06.08.2010 | 15:26 Uhr
Autor: rmatern
Politisch eine Stadt und Region aufzurichten, ist ein mühesvolles Unterfangen. Um sie niederzustrecken, reichen oft wenige Handstreiche. Der vorzustellende Titel, ‘Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch’, hätte im europäischen Jahr der Kulturhauptstadt einen leichteren Start haben können, wenn nicht am 24. Juli, während der Loveparade, die Duisburger Katastrophe geschähen wäre. 21 Tote, über 500 Schwerverletzte und Veranstalter, denen nichts besseres einfällt, als sich eine juristisch relevante Schuld gegenseitig zuzuschieben. Obwohl die Stadt Duisburg für die Genehmigung des Festes verantwortlich und an der Ausrichtung beteilgt war, werden politische Konsequenzen nicht gezogen. Als hätte es in Duisburg in den vergangenen Jahren keine politische Verantwortung gegeben. Neuesten Meldungen nach unterstützt der Koalitionsparter (Die Grünen) die Haltung der Stadt, um die gute Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister Sauerland und der CDU nicht zu gefährden.
Keineswegs bloß aus solchen Gründen fällt es schwer, von einer Metropole Ruhr zu sprechen. Das Ruhrgebiet hat keinen eigenständigen politischen Raum: Eine typische Metropole wie London verfügt über solchen, eine Metropoleregion wie Berlin-Brandenburg enthält zumindest eine Metropole. Das Ruhrgebiet hingegen besteht aus wesentlich kleineren Städten, die drei verschiedenen Regierungsbezirken zugeordnet sind und deren Regierungen alle außerhalb der Region liegen: in Düsseldorf, Münster und Arnsberg. Die Kampagne der Ruhr.2010 GmbH ‘Metropole Ruhr’, die für das Jahr der Kulturhauptstadt geschaffen wurde, erschöpft sich in einem Marketing ohne Produkt.
Dennoch handelt es sich um eine Region mit einer spannenden Geschichte. Seit dem Mittelalter wurde Kohle abgebaut, bis ins 19. Jhd. jedoch nur an der Oberfläche: in Form einer Kohlengräberei. Industrielle Nutzungen entstanden erst nach dem Import von englischen Dampfmaschinen und deren Weiterentwicklung. In zwei Bänden zeichnen die Herausgeber und Autoren die Geschichte von einer landwirtschaftlich hin zu einer industiell geprägten Region nach: auf insgesamt 1106 Seiten. Das Besondere der Publikation ist, dass die Quellentexte auszugsweise beigefügt sind. Der Wortlaut kann direkt nachgelesen werden. Dies macht die publizierten Bände zu reizvollen Schmökern, die nicht bloß berichten, sondern Vergangenes nahrücken lassen.
Der erste Band beginnt mit der Erörterung der vorindustriellen Zeit, als die Region nur zwei Städte kannte, Duisburg und Dortmund. Die beschriebene Entwicklung reicht bis zur Weimarer Republik. Der zweite Band setzt mit der Erörterung der Weimarer Republik an und schreibt die Geschichte bis zu aktuellen Initiativen fort, die für den Ballungsraum einen politischen Raum fordern, um ein gemeinschaftliches Handeln und Verantworten zu ermöglichen, ebenso eine bürgerschaftliche Identifikation mit der Region. Eventuell sind einige Beiträge in den Bänden zu kurz geraten. Vielfach bleibt es bei Hinweisen auf Institutionen und Sachverhalte, denen ausführlichere Abschnitte hätten zukommen müssen, um sie historisch besser einordnen zu können. Einen Überblick verschafft das an die breite Öffentlichkeit gerichtete Lesebuch jedoch allemal, das seinen besonderen Charm aus den beigefügten Briefen, Artikeln und sogar Gedichten erhält.
Reinhard Matern
Klaus Tenfelde / Thomas Urban (Hg.)
Das Ruhrgebiet.
Ein historisches Lesebuch,
2 Bd. im Schuber, 1106 Seiten,
Hardcover, zahlr. Abb., 44,- €,
Klartext-Verlag, Essen,
ISBN 987-3-8375-0286-2
Tags: Geschichte, Lesebuch, Ruhrgebiet
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