Samstag, 07.10.2006 | 12:13 Uhr

Autor: Jürgen Matthes

Charming China

Ich mag ja China. Ich liebe Asien. Schön warm da. Und das Essen erst, jaja, kennt ja jeder. Also auf in Halle sechs und den geballten asiatischen Auftritt bewundern. Und hier bewegt man sich zwar immer noch auf einer Messe, also so mit Ausstellern, Publikum und Publikationen, aber irgendwie gelingt es den zum überwiegenden Teil weiblichen Mitarbeitern, ihre Heimat auf eine unaufdringliche, ja geradezu mühelose Art um sich herum zu verbreiten, so dass man selbst dann ungefähr wüsste, bei welcher Nation man gerade zu Gast ist, wenn man blind und taub wäre. Nicht einmal der Klimaanlage gelingt es, den Geruch Asiens auszufiltern.

Ich ertappe mich dabei, wie ich einmal und noch einmal und dann zum dritten den gleichen Gang entlang schlendere, nur um der Musik eines traditionellen chinesischen Mini-Orchesters zu lauschen. Danach findet eine Lesung statt, die durchaus ihr Publikum bekommt, obwohl in der Muttersprache gelesen wird. Sehr klangvoll übrigens. Ein Funktionär im schattenlosen Anzug verliest danach eine offizielle Verlautbarung, ich verstehe kein Wort, aber als gelernter DDR-Bürger erkenne ich aus Gestus und Tonfall den Inhalt. Langweiliges Pflicht-Blabla klingt auf mandarin genauso merde wie auf deutsch.

Das Lächeln einer Hostess bannt mich für Sekunden, bevor der automatische Griff nach der Kamera erfolgt, der sinnlos ist, weil das Gerät schon an meinem Handgelenk baumelt. Als ich das Ding endlich im Anschlag habe, ist ihr Lächeln unmerklich von höflich-distanziert zum ich-amüsier-mich-wie-Bolle-Ausdruck gewechselt und als ich dann glotzäugig feststelle, dass die Akkus gleich den Geist aufgeben, beißt sie sich auf die Lippen und ist sichtlich an der Oh-Buddha-ich-schrei-gleich-Grenze angelangt. Ich möchte gar nicht wissen, wie mein Gesichtsausdruck jetzt von ihr benannt werden würde, aber nun, da ich das schreibe, bin ich doch froh, dass keine Mülltonne in der Nähe war.

Um das peinliche Gefühl wieder loszuwerden, beschließe ich, groß essen zu gehen und schlendere weiter in der eigentlich sicheren Hoffnung, irgendwo einen Stand zu finden, der die jahrtausendealte Tradition der klassischen chinesischen Instant-Nudelsuppe hochhält…aber nö. Nüscht. Niente-Nada-Nitschewo. Ich fasse es nicht, das darf nicht wahr sein. Nicht mal´n Glückskeks. Jetzt wird mir klar, wie die Mädels ihre Traumtaillen halten.

Okay, weiter zum thailändischen Auftritt. Hier haben drei handfeste Damen ihre Matten ausgebreitet und verpassen müden Messegästen eine echte thailändische Massage, also die Sorte, bei der auch Publikum zugelassen ist. Der Mann, den die kräftigste der drei gerade bewalkt, liegt wie plattgewalzt da und scheint eingeschlafen, obwohl ich mir das bei den Griffen, die ich zu sehen bekomme, nicht vorstellen kann. Und wenn eine echte thailändische Masseuse Schweiß auf der Stirn hat, ist wirklich was gebacken.

thai

Unwillkürlich strecke ich mich ein wenig und stelle Verspannungen fest, die mir gar nicht gefallen. Da die Warteliste der Masseusen länger ist als eine Buchmessenacht, verziehe ich mich in den Schatten und lasse bei einigen vor langer Zeit erlernten Übungen die Gelenke knacken. Wie bei vielen Kampfkünsten existiert auch beim WingTsung eine abgeschwächte Form der Bewegungslehre, die man wunderbar entweder dazu benutzen kann, sich wieder frisch zu machen oder unbedarfte Zuschauer zu beeindrucken. Da meine mir anerzogene Bescheidenheit (Danke Mama!) letzteres für mich natürlich undenkbar macht, versenke ich mich ganz in mich selbst und merke so erst nach Minuten, dass man auf der Buchmesse niemals nicht und nirgendwo unbeobachtet ist. Zwei junge und eine ältere Dame beäugeln mich durch einen raffinierten Raumteiler hindurch und benötigen offenbar keinerlei Worte, um sich untereinander über mein Nivau auszutauschen. Ich halte leicht betreten inne und zucke die Schultern und dann bekomme ich wieder dieses einzigartige Lächeln zu sehen und eine der Ladys zeigt mir mit einer kurzen, eleganten Geste, was eine aufgestellte Hand wirklich ist. Unwillkürlich verneige ich mich leicht und schleiche von dannen und erst, als ich am japanischen Stand in einen Armani-Samurai hineinlaufe und der mein entschuldigendes „Sorry“ mit einem „Hai“ zur Kenntnis nimmt, bin ich beruhigt.

Ich werde Asien wohl niemals ganz begreifen und wenn ich mich recht entsinne, habe ich nicht ein einziges der ausgestellten Bücher wirklich wahrgenommen, aber ich habe das sichere Gefühl zurückbehalten, dass das auch gar nicht nötig war. So wie ein Bild tausend Worte überflüssig macht, haben mich das Wesen und die schlichte Präsenz dieser Menschen hier erfüllt und bereichert und ich werde todsicher irgendwann meinen höchstpersönlichen Fuß auf ihren Kontinent setzen. Ich gehe und nehme ein Lächeln mit.

china

Aber Appetit auf Shop-Suey hab ich immer noch…

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