Mittwoch, 24.06.2015 | 20:50 Uhr
Autor: Chris Inken Soppa
Ulrike Blatters Kurzgeschichte „Die Seuche“ liegt in H.L. Weens Kurzgeschichtenband „Horrortrips“ ganz weit vorn.
„Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit„, sagt Albert Camus. Ob Ulrike Blatter das auch so sieht? Jedenfalls ist sie vom Fach. Als Ärztin weiß sie, worüber sie schreibt. Zwei Influenzastämme vermählen sich. In Asien bricht ein Killervirus aus, während die schwangere Manu mit ihrem kleinen Sohn auf der heimischen Scholle sitzt und auf den Ehemann wartet, der in Paris arbeitet. Auf einmal steht auch sein Hotel unter Quarantäne. Und plötzlich spielt die ganze Welt verrückt.
Das Söhnchen fiebert. Im Garten liegen tote Vögel. Eine Freundin schreibt E-Mails vom Ende der Welt. In den Fernsehnachrichten in weiße Tücher eingewickelte Leichen, Menschen mit Mundschutz und eine Sprecherin, die moderiert, bis sie hustend aus dem Bild läuft und nie wieder kommt.
Diese Kurzgeschichte ist keine Horrorstory, nicht im eigentlichen Sinn. Ulrike Blatters Monster kommen keineswegs brüllend und blutrünstig daher. Vielmehr sind sie unsichtbar und überall; mit Macht brechen sie sich Bahn, direkt in Manus kleine heile Familie hinein. Ihrem Sog kann sich weder der Leser noch die Protagonistin entziehen. Ulrike Blatters anschließendes Essay verdeutlicht das noch mal. Solche Schreckensszenarien sind möglich. Auch bei uns. Auch heute. Das sollten wir lesen. Und ehrlich darüber nachdenken.
Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos