Montag, 11.02.2008 | 17:05 Uhr

Autor: Serendipity

96 das fremde buch in mir

96 das fremde buch in mirdie schreibenden unter uns werden sich schon einmal in dieser situation gefunden haben: man setzt sich ein pensum, beginnt zu schreiben, in welche richtung weiss man noch nicht – manch einer mag das sogar die grundlage der literatur nennen, denn weiss man als autor wirklich schon vorher was am ende dabei raus kommt? – und dann wird man mitten in der entwicklung dieses schwerwiegenden gedankens, der austüftelung verbal manifestierter gedanken, ganz unvermittelt und ohne warnung unterbrochen. das telefon klingelt, der postbote ist an der tür, die kellnerin fragt schon zum zwölften mal – äusserst höflich, ohne frage – ob alles beim rechten sei, die katze springt auf den tisch, oder der tisch wackelt gar.
96 seiten hatte sich armin baumgartner vorgenommen und 96 seiten lang beschreibt er den kampf seiner gedanken gegen das wackeln des tisches, den, in abwesenheit von bierdeckeln, aussichtslosen kampf. und zwischen den wacklern schreibt er literatur.

„und das geschieht alles sehr zu meinem erstaunen. ich kann also das wort mit meinen innenaugen beobachten, so als ob es sich hierbei um eine spinne handelt, wie es sich da aus meinem innenmund lautlos herausschleicht. und das sehe ich dann alles, innen und aussen und zu jeder tages- und nachtzeit. da hab ich dann ein nachtsichtgerät auf, ein innerliches, ein gedankliches. ein ziviles gedankennachtsichtgerät, mit dem ich sogar den gedankenfaden bei völliger dunkelheit sehen könnte. und danach gerät also dieses mein wort, mein gedankennachtsichtgerätwort, in eine wortverkehrshölle. da kommen fremde wörter von vorn und von hinten, die liegen auch einfach herum, gehören dem und dem, vielleicht denen am nachbartisch, und es kommt mitunter zu einem konflikt zwischen meinen und den anderen, wobei ich sagen muss, dass ich meinem wort dabei irgenwie schon weiterhelfen könnte. aber nein, ich sitze da, tue nichts und schau mir das gemütlich an.“ (S. 34)

Das ist doch keine literatur, mögen sie sagen. Aber darauf kann ich nur mit baumgartner antworten:
„was ist denn das überhaupt, die literatur. ist es das beschreiben dessen, was hinter dem ist, was ist, wenn das, was ist, so ist, dass es nicht das ist, was es für das, was dahinter ist, vorgibt zu sein.“ (S.65)

alles in allem sehr lesenwerte und äusserst unterhaltsame 96 seiten. baumgartner schafft es das schreiben (oder war es die literatur?) auf eine wunderbar (österreichische, wie er sicher selbst zugeben würde) art auseinander zu nehmen ohne den („rot-weiß-roten“) faden, trotz fehlender bierdeckel und wackelndem tisch, je wirklich zu verlieren.

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Armin Baumgartner: 96 das fremde buch in mir
Edition Uhudla A, Wien, 2006

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Ein Kommentar

  1. meike schrut Says:

    Würde auf alle Fälle dies Buch über die Entstehung eines Buches kaufen um mal zu ergründen, ob ich wirklich so schlecht schreibe, daß daran nur herumgekrittelt wird – sogar von Leuten, die keine einzige Zeile von mir gelesen haben (Gedicht, Märchen..) – Erstaunlich, wie man durch den Dreck gezogen wird, besser eine traurige Berühmtheit als gar keine? Ich habe auch mal „Zeilen mit Nichts“ beschrieben, mein damaliger Freund liebte es so zu bezeichnen. Er bezeichnete es so, weil ich nicht mehr literarisch über uns schwärmte, wie es am Anfang der Beziehung war: DAS war schwülstiger Mist, über den ich heute noch grinse, möglich, daß so etwas gern gelesen würde von meiner „Kritikerin“.

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