Dienstag, 05.02.2008 | 09:32 Uhr

Autor: molosovsky

Susanna Clarke: »Jonathan Strange & Mr. Norrell«, oder: Ein edles Tröpfchen des berauschenden Weins der Magie (Teil 2)

Hinweis: Um die Fußnoten lesen zu können, klicken Sie bitte unten auf ›Rest des Eintrages lesen‹.

Wie locker oder verkrampft Phantastik betrieben und gehandhabt wird, hängt meiner Ansicht nach entscheidend davon ab, wie ruppig-leidgeprägt oder segensreich-glatt ein Kulturraum die Groß-Umwälzungen der Zeitenwende zur Moderne erlebte und empfand. Der Anglist Dietrich Schwanitz (1940-2000) schreibt dazu[01]:

Während die Modernisierung {die Epoche des Übergangs von einer ständisch geprägten Gesellschaft zu einer modernen, funktional differenzierten Gesellschaft} in Deutschland die Gestalt einer finsteren Tragödie annahm, ist die englische Kulturgeschichte bei allen Kosten und Krisen im Vergleich zur deutschen eine Glücksgeschichte — und das heißt eine Comedia Anglica.

Von allen internationalen Strömungen der Phantastik, ist mir die englische schon früh als besonders verführerisch und ergiebig nahegekommen.

Spätestens seit Shakespeare ist ja bekannt, dass die Welt eine Bühne, und wie wichtig es deshalb ist, sich gemäß des eigenen Platzes in der Gesellschaft zu verhalten. Doch wer verteilt die Rollen und wie ergeht es Personen, die sich partout danach sehnen, von ihrem zugedachten ›Text‹ abzuweichen? Eine ganz ähnliche Frage, nur von ungleich größerem Format, eröffnet Clarkes dicken Roman »Jonathan Strange & Mr. Norrell«[02]. »Warum gibt es keine Zauberei mehr in England?«, will eine Versammlung von Gentleman-Zauberern zu Beginn ergründen, und einige unter ihnen sind nicht Willens, dieses Schicksal länger hinzunehmen. Diese Herren studieren zwar (allerweil streitend) die Geschichte der Zauberei, sind aber selbst zu keinerlei magischen Taten im Stande. Wegen des Rufes seiner exzellenten Bibliothek, treten die Gentlemen-Zauberer brieflich in Kontakt mit dem schrulligen und dauerschlechtgelaunten Bücherwurm Mr. Gilbert Norrell auf, der laut eigener Auskunft der einzige wahrhafte lebende Zauberer Englands ist. Nach einigem Zögern entschließt sich Norrell die Provinz zu verlassen und siedelt nach London über, um sich in den dortigen Salons darum zu bemühen, der englischen Zauberei zu neuem Glanz zu verhelfen., und mit ihr England im Krieg gegen Napoleon beizustehen. Mit seinen ersten magischen Kabinettstückchen überwindet Norrell das anfängliche Misstrauen der Entscheidungsträger aus Politik und Militär.

Doch, ›Oh je!‹, der scheue Misanthrop findet sich dann, sehr zu seinem Missfallen, bedrängt von der aufgeregten Neugierde und den mannigfachen Begehrlichkeiten der besseren Gesellschaft, und begeht einen großen Fehler, als er eine junge Dame vor dem Tod errettet. Norrell sichert sich eifersüchtig und despotisch die Stellung des exklusiven Staatszauberers, ringt sich aber schließlich durch, seine Kenntnisse und Fertigkeiten mit einem Schüler zu teilen. Als solcher kommt verhältnismäßig spät, am Ende des erstens Drittels, Jonathan Strange in die Geschichte.

Der Kontrast der beiden Titelfiguren erinnert mich im besten Sinne an das Couplet, das Walter Matthau und Jack Lemmon in ihrer Laufbahn mehr als einmal grandios geboten haben: der Ältere ein emotionell harter und zerknautschter Griesgram, der Jüngere ein verplapperter und naiv-hochmütiger Hupfdibupfdi. Während Norrell in England bleibt um stets gereizt, verkrampft und paranoid das seine zum Krieg und der Magie-Renaissance beizutragen, begibt sich Strange ins Ausland zu den Truppen auf der iberischen Halbinsel[03]. Im diesem zweiten Drittel des Romans kommen nun auch Äktschn-Fans vermehrt auf ihre Kosten.

Überhaupt: Clarke steigert (für meinen Geschmack wunderbar) altmodisch sachte und subtil die Spannungs- und Spektakel-Dosis. Nicht selten schlendert der Romanfortgang scheinbar planlos herum, lässt sich athmosphärisch hie und da ein klein wenig treiben, schildert aber sonst mit der gewitzten Präzision die scharfer Beobachtung eigen ist, und die hier zudem gut Hand in Hand mit der (typisch) britischen Sitte einhergeht, Gemeinheiten und Tiefschläge zwischen feinen Ranken von spitzen Unterschneidungen zu platzieren. Zudem, und hier bedient Susanna Clarke ganz besonders meine speziefischen Phantastik-Gelüste, lässt sie gern auch mal kecke Büschel kleiner Groteskerien sprießen, oder balanciert souverän ganze Szenen auf einem schmalen Grad zwischen augenöffnender Plausibilität und prickelnder Abstrusität.

Als einer, dem mittlerweile einfach gestrickte Macho-, Strahle- oder Antihelden abhold sind, fand ich mein exquisitestes Vergnügen bei Clarkes feinem Amüsement über den Hang von Männchen zur geheimniskrämerischen Wichtigtuerei bzw. flamboyanter Prahlerei[04]. Keine Zweifel habe ich, dass sich Susanna Clarke mit ihren beiden Büchern jetzt schon in die Riege der ganz großen Vertreter der Phantastik geschrieben hat. Sie versteht vorzüglich, ihre Figuren als leicht übertriebene Karikaturen zu gestalten, und sie dennoch mit Würde und Einfühlungsvermögen zu behandeln — ein leider nur ziemlich selten zu findendes Lektürevernügen. All diese Qualitäten von Clarkes Schreibe, lassen mich der in Arbeit befindlichen (für sich stehenden) Fortsetzung von »Jonathan Strange & Mr. Norrell« entgegenfiebern. Immerhin: nach der feinen Salongesellschaft und ihrer Handlanger, will sie sich diesmal vermehrt mit den unteren Schichten der Gesellschaft auseinandersetzten. Ich hoffe nur, dass sie nicht nochmals 10 Jahre braucht.

{Hier geht es zum ersten Teil meiner Susanna Clarke-Empfehlung, über den elegant geschnürten Kurzgeschichten-Band »Die Damen von Grace Adieu«.}

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Diese Rezension erschien ursprünglich in »Magira 2007 — Jahrbuch zur Fantasy«, Hrsg. von Michael Scheuch und Hermann Ritter.

>>>> Hier gehts zum Trailer der Sammelrezi mit Introdubilo und Warentrenn-Überleitungen.

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»Jonathan Strange & Mr. Norrell« (Nur in den englischen Ausgaben mit Illustrationen von Portia Rosenberg, Bloomsbury 2004), übersetzt von Anette Grube & Rebekka Göpfert, 1021 Seiten; Gebunden Bloomsbury Berlin (2004) ISBN-13: 9783827005229; Taschenbuch bei Berlinverlag (2005) ISBN-13: 9783833303333

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ANMERKUNGEN
[01] Dietrich Schwanitz: »Englische Kulturgeschichte«, Eichborn 1996; Seite 9 und 10. ••• Zurück

[02] Mit 1021 Seiten, 69 Kapitel (abgepackt in drei Teile mit 22, 22, und 25 Kap.) und 184 Fußnoten wird dem Leser eine Menge Holz vor’n Latz geknallt. Laßt Euch nicht von den z.T. ausführlichen Fußnoten verwirren und ablenken, in denen Clarke meistens Erzählungspralinen aus der englischen Zauberei-Vergangenheit zum Besten gibt. Ich empfehle, immer zuerst dem Faden eines Kapitels unterbrechungslos zu folgen, und die Fußnoten nach dem Lesen eines Kapitals zu goutieren. Andere Möglichkeit: Man verdirbt sich keine Überraschung, wenn man nach Lust und Laune vorblätternd die kleinen Fußnotenerzählungen als Zwischendurchkonfekt genießt. ••• Zurück

[03] Ich weiß von einigen Fantasyfreunden, dass sie schon Boromirs, äh, dem »Sharpe« seine Abenteuer als Scharfschütze in genau dieser Szenerie genossen haben (als Romane von Bernard Cronwell, oder englische TV-Serie mit Sean Bean). ••• Zurück

[04] Wobei Clarke nicht den langweiligen Fehler begeht, nur die Männer als belächelnswerte Figuren zu präsentieren. ••• Zurück

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7 Kommentare

  1. christopher Says:

    bin das erstemal hier, finde hervorragend. danke für all diese lit. tips.

    Moderator-Eingriff von Molosovsky: Kommerzlink rausgenommen. Tippfehler gemerzt. — Wir sollten anfangen zu überlegen, ob wir ernst machen mit der Rechnungs-Stellung für kommerzielle Links. Vorbild wäre da die Blogbar. Die nehmen 500,— Euro (zzgl. MwSt).

  2. christopher Says:

    ups sorry, das war nicht so gemeint, mit dem link

  3. Oliver Gassner Says:

    Das mit dem rechnungsstellen habe ich schon mit dem einen doer anderen anwalt diskutiert. Die beobachten grade, ob Sixtus und/oder Blogbar das geld auch kriegen.

    Denn nur Rech nungen schreiben und kein Cash kriegen… ist nur Arbeit.

    Aber Alex: wenn Du das managen willst hast Du den Jo0b deines Lebens, weil ich hätet da ein paar Bliogs auf denen Leute solchen Mist abwerfen.

    Job1: Formulierung einer halbwegs wasserdichten „Policy“.

    Ins unreine hatte ch das mal als Brainstorming so Formuliert>

    ‚Gerne gesehen sind Links nur auf (gerne Firmen-)Blogs und persönliche
    Homepages‘
    und
    ‚(Deep-)Links auf Firmenseiten ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem
    Blogposting oder der Antwort werden als kostenpflichtige Werbung
    behandelt. Siehe Preisliste.‘
    und
    ‚Hinweise auf Konkurrenzprodukte der in Artikel oder Kommentaren
    erwähnten Angebote sind nur ohne aktive Verlinkung erwünscht.‘

  4. Oliver Gassner Says:

    Ach ja, normalerweise mache ich im Kommerzlink nur 1 Buchstaben im vorderen Tel zu einem * bzw dokumentiere den Link ohen Verlinkung im Kommentarbody. So treffen dann Leute, die denjenigen suchen, auch mal auf den Spam hier 😉 (Kant-Paraphrase: wenn das alle so machen, dann…)

  5. Oliver Gassner Says:

    Kommentarspam-Policy…

    Wegen der Diskussion hier im Literaturwelt-Blog (unten bei den Kommentaren) wollte ich mal ein Projektchen verfolgen, das ich seit ner Weile rumschleppe.

    Das Problem sind aktuell manuell abgesetze Spams mit minimalen Zusammenhang mit den POstings. D…

  6. Harald Says:

    Redet hier auch mal einer über Literatur? 😉
    Ich habe „Jonahtan Strange & Mr Norrell“ vergangenes Jahr im englischen Original mit großem Vergnügen gelesen und kann mich dem Lob der o.a. Rezension nur anschließen. Susanna Clarke zeichnet ihre Figuren mit großer Sorgfalt und Liebe, stets mit einem kleinen Augenzwinkern. Den Vergleich mit dem Duo Matthau und Lemmon ist in meinen Augen etwas ungewöhnlich, da er den beiden Figuren nicht wirklich gerecht wird. Zwar ist auch ein „emotionell harter und zerknautschter Griesgram“, aber vielmehr ist eher überängstlich, paranoid, verbohrt und nicht wirklich bereit, anderen (eben Strange) sein Wissen zugänglich und damit seinen Rang streitbar zu machen. Das geht sogar so weit, dass er die Tatsachen verleugnet und es zwischen den beiden zum unausweichlichen und offenen Bruch kommt. Allerdings – und das ist das Schöne an diesem Buch – überrascht uns auch Mr. Norrell am Ende (aber Details werden natürlich nicht verraten…).
    Ach ja, wer möchte kann meine Rezension gerne auch in meinem Blog nachlesen (Link siehe oben).

    P.S. Glückwunsch auch zum gelungenen Literaturblog!

  7. molosovsky Says:

    Danke für den schönen Kommentar, Harald.
    Deiner Kritik zu meinem Mattau/Lemmon-Vergleich möchte ich nicht widersprechen. Es wäre vermessen von mir davon auszugehen, dass anderen Menschen gleichermaßen meine persönlichen Imaginations-Folien zuhanden sind oder sie meine entsprechenden -Prägungen durchgemacht haben. — Mein Vergleich ist insofern ungehörig deviant, weil JS&MN ja ausgesprochen britisch, Matthau & Lemmon aber typisch amerikanisch sind! Das war mir aber grad mal wurscht, denn für mich sind die hinter diesem Staatszugehörigkeits-Kleinkram durchschimmernden Archetypen eben durchaus sehr ähnlich.

    Ach ja: Hier noch der Link zu Deiner Rezi von JS&MN: »Harry Potter trifft auf Jane Austen und J.R.R. Tolkien« in Deinem (ebenfalls sehr gelungenem) Blog »Biblionomicon«.

    Man ließt sich!

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