Donnerstag, 19.01.2012 | 15:21 Uhr
Autor: JosefBordat
Andrea Durry und Thomas Schiffer zeigen die facettenreiche Kulturgeschichte des Kakaos
Es gibt sie in fester und flüssiger Form. In den Supermärkten füllen sie ganze Regale. Es gibt kaum jemanden, der sie nicht mag. Die Rede ist von Kakaoprodukten. Der Schokoriegel für zwischendurch, die Pralinenschachtel als Verlegenheitsgeschenk, heißer Kakao zur Sachertorte: Unser Umgang mit ihnen ist selbstverständlich, dass wir ihn haben jedoch keineswegs. Darüber klären die Soziologin und Ethnologin Andrea Durry und der Historiker Thomas Schiffer auf, beide eng verbunden mit dem Schokoladenmuseum Köln. Ihr Buch „Kakao. Speise der Götter“ erscheint in der Reihe „Stoffgeschichten“, die sie der historischen und kulturellen Dimension von Alltagsdingen verschrieben hat. Und wie schon geschrieben: Kakaoprodukte gehören heute zum Alltag der Menschen in Europa.
Geschichte des Kakaos
Das war nicht immer so: Noch viele Jahre nach der Kolonialisierung Afrikas und Amerikas war Schokolade ein Luxusgut, das der höheren Gesellschaft vorbehalten blieb, ein exklusives Getränk des Adels, zugleich eine Szene-Speise der Intellektuellen, die sich in „Schokoladenstuben“ dem Genuss aus der Ferne hingaben, als Ausdruck einer fröhlich-dekadenten Lebensart. Viele Künstler und Schriftsteller gelten als Schokoladenliebhaber, allen voran Goethe und Schiller. Die Schokolade wurde zu ihrer Zeit traditionell hergestellt, ehe im 20. Jahrhundert die Industrieproduktion von Kakaoprodukten und ihre Vermarktung breite Käuferschichten erschloss.
Die industrialisierte Förderung und Verarbeitung der Kakaobohne hat aber auch Schattenseiten: Die Produzenten werden seit Jahrzehnten durch eben jenen Kakao gezogen, den sie auf den Weltmarkt bringen, die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen sind hart, oft sind es Kinder, die für die „zarten Versuchungen“ ihrer Altersgenossen in unserer Hemisphäre schuften müssen. Doch das Problembewusstsein des Konsumenten steigt, Fair Trade-Organisationen gewinnen an Boden und können Marktanteile hinzugewinnen – langsam, aber sicher.
Viel Wissenswertes
Das Buch bietet allerhand Wissenswertes über den Ursprung des Kakaoanbaus in Mittelamerika, über den Werdegang des Kakaos vom Sakralgegenstand und Herrschaftssignum in den präkolumbianischen Kulturen zum Agrarprodukt für den interkontinentalen Handel, der mit der Kolonialisierung einsetzt, und über die Schokoladenherstellung, die das Luxusgut zur Massenware machte. Es verweist auf den langen, beschwerlichen Weg der Edel-Bohne von den ehemaligen Kolonien in Amerika und Westafrika (zwei Drittel des weltweit konsumierten Kakaos stammt von dort) in die Regionen, in denen die Kakaoprodukte hauptsächlich getrunken und gegessen werden: Nordamerika und Europa.
Die Autoren bemühen sich bei aller Emotionalität, die mit dem „süßen Trunk der Götter“ verbunden ist, um Klarheit und Sachlichkeit (ein praktischer Anhang mit Übersichten und Karten erleichtert den Zugang zum Thema), sie nennen die Fakten und verschweigen dabei die Schattenseiten nicht. So vereinen sie unterhaltsam und kenntnisreich Pflanzenkunde, Ökonomiegeschichte und aktuelle sozio-kulturelle Belange des Kakaos zu einer umfangreichen Darstellung, die den Schokoladenliebhaber in die unterschiedlichsten Aspekte seiner Leidenschaft einführt. Und das beste daran: Lesen ist kalorienfrei.
Bibliographische Daten:
Andrea Durry und Thomas Schiffer: Kakao. Speise der Götter
Oekom Verlag, München 2012.
349 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783865811370
Josef Bordat
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