Montag, 19.01.2009 | 07:41 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Darf man eine Satire über den Holocaust schreiben? Die Antwort lautet „Nein“. Tova Reich versucht’s trotzdem – und scheitert.
Grob gesagt geht es in ihrem Buch „Mein Holocaust“ um jemanden namens Maurice Messer, der mit dem „Holocaust Memorial Center“ Geld verdient. Eines seiner Probleme: Enkelin Nechama tritt – „weil auch die Christen ein Recht auf ihren Holocaust haben“ – als Schwester Consolatia zum Kreuz einem Karmelitinnen-Orden bei, dessen Kloster direkt neben dem Lager Auschwitz liegt …
Das alles ist verquaster Nonsens und außerdem geschmacklos. Damit einem über Tova Reichs Ideen wie etwa dem nützlichen Handyempfang in der Gaskammer das Lachen im Halse stecken bleiben könnte, müsste zuerst eine Art von Lachen entstanden sein. Was definitiv nicht der Fall ist. Ein ganz schlechtes Buch.
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Tova Reich: Mein Holocaust.
DVA, September 2008.
331 Seiten, Hardcover, 21,95 Euro.
Tags: Holocaust, Juden, Literatur
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19.01.2009 um 11:41 Uhr
Dämliche Argumentation. Natürlich ›darf man‹ auch den Holochaust satirisch verarbeiten. Satire darf alles.
Genauer zu schildern, warum der Satireversuch von Tova Reich scheiterte wäre interessant. Aber ausführlicher begründete Rezis sind ja nicht {* immer} so Deine Sache, Andreas. — Überhaupt: Bei manchen Deiner Rezis aus den letzten Wochen frage ich mich ernsthaft, ob Du das Buch wirklich ganz gelesen hast (z.B. Dennis Johnson).
{* EDIT-Hinweis: um ›immer‹ ergänzt, da Du, Andreas, ja auch gute, sprich: ausführlichere und nachvollziehbare Besprechungen lieferst.}
19.01.2009 um 13:56 Uhr
Andere Meinungen als „dämlich“ zu bezeichnen, finde ich etwas niveaulos. Abgesehen davon bin ich schon der Ansicht, dass es auch mal ein Ende der Toleranz, die man der Satire gemeinhin zugesteht, geben darf – nach dem Motto: „Wer austeilt, muss auch einstecken können.“
Und ja: Ich lese meine Bücher tatsächlich zu Ende.
19.01.2009 um 15:55 Uhr
Du legst nahe, dass Satire (allgemein) sich auf keinen Fall des Holocausts (oder wie hier: der Geschäftemacherei mit dem Holocaust) als Thema annehmen darf. Diese Position halte ich schon für ziemlich bedenklich, und die Argumentation des Eröffnungsabsatzes der Rezi …
… dann für ›ausgesprochen dumm‹, bzw. kreuzungeschickt formuliert.
Satire, genauer: gelungene, gute Satire sollte in der Tat alles dürfen. Schlechte Satire kann im Einzelfall freilich scheitern. Aber nur weil Tova Reich (Einzelfall) sich verhoben haben mag, kann man doch kein allgemeines Satire-Vorbot bzgl. Holocaust (bzw. Holocaust-Geschäftemacherei) postulieren, oder?
Was das (Nicht-)Fertiglesen angeht, Andreas: Deine ausführlicheren Rezis lassen diesen Verdacht keineswegs aufkommen, und ich lese sie entsprechend gern und mit Gewinn. Die kurzen, ›drei Absatz-Rezis‹ allerdings sind derart un-informativ und grob gestrickt, dass ich nicht an mich halten konnte. Da Du ja nicht mit der feinen Feder schreibst, dachte ich, ist so ein hingeschmissener Eindruck unter Kollegen durchaus erträglich.
26.01.2009 um 1:10 Uhr
„Tova Reichs ‚Mein Holocaust‘ ist ein grimmiges Werk voll satirischer Brillanz. Ich halte dieses Buch für einen der eindringlichsten politischen Romane des frühen 21. Jahrhunderts.“
27.01.2009 um 20:49 Uhr
Ich finde auch, dass heute alles möglich sein muss. Tabuthemen sollte es eigentlich nicht mehr geben. Es kommt darauf an, wer und wie: http://www.lesenblog.de/2008/03/04/361/
01.02.2009 um 10:03 Uhr
@Joachim:
Angesichts Deiner Formulierung will ich mich ein Stück weit auf Andreas Seite schlagen. Für Satire sollte zwar erstmal alles möglich sein, dennoch ist es legitim ein Urteil auszusprechen, ob denn etwas auch gelungen ist (oder eben nicht). — Zum Einzelfall von Tova Reichs »Mein Holocaust« kann ich kein solches Urteil treffen, da mir nur die Leseprobe auf der Randomhouse-Site zur Verfügung steht (und die ist zwar großzügig, reicht aber für mich nicht, um sagen zu können, ob Reich Mist gebaut hat oder nicht). Ich wandte mich ja auch nicht prinzipiell gegen Andreas Urteil, sondern war unbefriedigt über die spärliche Herleitung seines Urteils.
Andreas Rezi regte mich an, mich umzugucken, und ich stellte dabei fest, dass Reich keineswegs eine Satire auf den Holocaust anbieten will, sondern — und dieser feine Unterschied ist m.M. äußerst markant — sich ätzend und mit grober Kelle hermacht über die Geschäftemacherei und das Gerangel um Deutungshoheit in Sachen Holocaust-Gedenken. So war es interessant verschiedene andere deutsche und englischsprachige Rezensionen zu vergleichen, wie hier bei »Deutschlandradio«
bei »Sand am Meer«
in der »Jewish Literary Review«
und in der »New York Times«
06.03.2009 um 20:44 Uhr
Ein sehr gutes Buch, daß hier unernst/ernst ungeplant Finkelsteins „Holocoustindustrie“ burlesk und gekonnt bebildert. Erstaunlich die Sprachkenntnis der Autorin im jiddischen und polnischen Slang. Großes lesevergnügen bis zum turbulenten Finale WPS