Montag, 27.11.2006 | 10:39 Uhr

Autor: Christiane Geldmacher

Stefan Harbort: Das Serienmörder-Prinzip

Stefan Harbort, >>>stellvertretender Leiter eines Kriminalkommissariats beim Polizeipräsidium Düsseldorf, hat sich über 15 Jahre lang mit Serienmördern beschäftigt. Er hat sie getroffen, Briefe gewechselt und seine Erfahrungen/Erkenntnisse in einem Buch mit dem Titel Das Serienmörder-Prinzip zusammengefasst. Es beruht auf über 50 Interviews. Unter anderem beschreibt er den Fall eines amerikanischen GI`s, der bis fünf Minuten vor seiner ersten Tat nicht wusste, was auf ihn zukommt. Er sagte: „Die meisten Menschen wissen nicht, wozu sie fähig sind.“


Der erste Mord ist schwer (da unbekanntes Terrain), der zweite fällt leichter, der dritte bereitet Lust. Die Täter kosten ihre Machtposition aus. Gerade viele Frauen fallen darauf herein; meistens begegnen sie ihrem Mörder nicht zum ersten Mal. Sie sind interessiert, hören zu, ignorieren die Bedrohung.

Harbort schätzt, dass im Augenblick ca. 15 Serienmörder in Deutschland auf freiem Fuß sind.

Sein Tipp, der nicht die Lebensqualität des Einzelnen einschränkt (Harbort): Nicht in fremde Wohnungen gehen, nicht in fremde Autos steigen, nicht nachts durch dunkle Parks laufen.

Leseprobe:
„Drei Stunden lang stand er Rede und Antwort, ließ keine Scheußlichkeit seiner Verbrechen unerwähnt. Der Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe sprach leise, verwaschen, hatte kaum Höhen und Tiefen in der Betonung, sein Wortschatz war sehr begrenzt, Gestik und Mimik blieben verhalten. Er zeigte keine Emotionen, wirkte auf mich linkisch, ungebildet, bisweilen infantil. Doch seine Aussagen waren authentisch und ehrlich.
Der verhaltene Versuch seiner Selbsteinschätzung spiegelte eindrucksvoll das Unvermögen wider, sich auf die eigene Persönlichkeit einzulassen. Erst nach jeweils längerem Nachdenken würgte er förmlich hervor: Ich stehe zu meinem Wort. Hilfsbereit. Großzügig. Dass ich halt dazu stehe. Dass ich schnell aufbrausend werde. Sein Charakterprofil konnte er mit gerade einmal 17 Worten beschreiben.“

Ich habe ein zweistündiges Feature über dieses Buch im Radio gehört und der Autor hat mich sehr beeindruckt.

Das Serienmörder-Prinzip
Was zwingt Menschen zum Bösen?
Gebunden mit Schutzumschlag
Droste Verlag
336 Seiten / 13,5 x 20,8 cm
ISBN 3-7700-1221-6
€ 18,95

(über Novitäten gehen)

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2 Kommentare

  1. NuT » Crime Pays Says:

    […] und nur der “erste Mord ist schwer“. Mit Marx gesprochen: Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teilsmoralisch, teils tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und aesthetischen Gefuehledes Publikums einen “Dienst”. Er produziert nicht nur Kompendien ueber das Kriminalrecht,nicht nur Strafgesetzbuecher und damit Strafgesetzgeber,sondern auch Kunst, schoene Literatur, Romane und sogar Tragoedien, wie nicht nur Muellners “Schuld” und Schillers “Raeuber”,sondern selbst “Oedipus” und “Richard der Dritte” beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des buergerlichenLebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen wuerde. Er gibt so den produktiven Kraeften einen Sporn. Waehrend das Verbrechen einen Teil der ueberzaehligen Bevoelkerung dem Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert,  absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevoelkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener natuerlichen “Ausgleichungen” ein, die ein richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive “nuetzlicher” Beschaeftigungszweige auftun. […]

  2. molosovsky (Alexander Müller) Says:

    Was sind Helden anderes als verklärte Verbrecher? Siehe das immer ambivalente Verhältnis von Tragik und Heroik, oder die durch ihre Soldatenprofession legetimierten Mörder aller Armeen (wobei die Gegner prinzipell nicht im Recht sind). Siehe auch das oftmals vorgeführte Metapher des Seirenmörders als künstlerischer Typus (ob ›Installationskünstler‹ wie in »Copycat« oder als ›Installations-Prediger‹ wie in »Se7en«).

    Es gibt die Welt, und eben die Dinge, zu denen Menschen fähig sind (oder eben ›zivilisierterweise‹ nicht mehr fähig sind) um gestaltend mit Taten in die Welt einzugreifen. Im Nachinein wird dann von Seiten der längeren Hebel entschieden, ob ein Tatmensch zur Unhold- oder Helden-Kategorie gehört.

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