Samstag, 15.03.2014 | 16:22 Uhr
Autor: JosefBordat
Michael Böcher und Max Krott legen in Mit Wissen bewegen! Erfolgsfaktoren für Wissenstransfer in den Umweltwissenschaften einen wichtigen Beitrag vor, der für Umweltwissenschaftler und Praktiker gleichermaßen Hinweise für eine gelingende Kooperation bereitstellt.
Die Rede vom „Elfenbeinturm“ ist sicher jeder und jedem geläufig: Eine realitätsferne Wissenschaft, schon räumlich weit entrückt, urteilt über eine Welt, die sie nur aus der Draufsicht, nicht aber aus echter Teilhabe kennt. Die Abgehobenheit der Forschung gipfelt in einem Diktum, das dem Philosophen Hegel zugeschrieben wird: Wenn die Theorie nicht zur Praxis passt, muss sie sich ändern – die Praxis.
Erkennen – Vermitteln – Anwenden. Dies ist der Dreisatz einer Forschungskultur, die den Elfenbeinturm mit Ziel „Gesellschaft“ verlassen hat. In diesem Sinne hat das Wissenschaftsprogramm „proVISION“ und andere ähnliche Projekte den „Abschied vom Elfenbeinturm“ und dabei nicht nur die Transformation von wissenschaftlichen Forschungsresultaten in konkrete praktische Problemstellungen vorgenommen, sondern zudem eine Rückwirkung der praktischen Erfahrungen in die theoretische Analyse zugelassen und damit echte Partizipation gewagt.
Sieben Fallbeispiele werden in dem Sammelband Mit Wissen bewegen! Erfolgsfaktoren für Wissenstransfer in den Umweltwissenschaften vorgestellt, der unlängst von Michael Böcher und Max Krott bei oekom (München) herausgegeben wurde. In ihnen wurde unter zwei übergeordneten Leitfragen eine Verzahnung von Theorie und Praxis angestrebt: Erstens: „Wie kann man erreichen, dass gar keine Türme mehr entstehen, weil die Praxis bei der Entwicklung der Forschungsfragen eingebunden und die Forschung auf Praxisprobleme ausgerichtet wird?“ Und zweitens: „Wie können wissenschaftliche Erkenntnisse zum Handeln motivieren, zum Umdenken und zur Neuausrichtung in der Praxis?“ Das bedeutet: Wie kann die Theorie für die Praxis und wie kann die Praxis für die Theorie normativ werden?
Besonders wertvoll ist die methodologische Betrachtung der Transformationsprozesse in den einzelnen Projekten, die auf einem neuen Wissenstransfermodell namens FIV basiert: Forschung – Integration – Verwertung. Das FIV-Modell geht davon aus, „dass Wissenschaft neben wissenschaftlichen auch politische Problemlösungen finden könne“. Dies ist jedoch zugleich selbst ein Problem: Wissenschaftliche Forschung ist nicht demokratisch legitimiert und sollte daher auch nicht normativ ausgerichtet sein. Sie soll Wahrheiten finden, nicht Mehrheiten organisieren. Wird die Wissenschaft zu politisch, ist sie nicht mehr das, was sie strukturell sein sollte: unabhängig. Wichtig ist deshalb ein zweiter Aspekt: das Eingeständnis, dass „wissenschaftliche Wahrheit nicht die Anwendung in der Praxis erzwingen“ kann. Nur so – in der „weichen“ Normativität beratender Rhetorik, die Rückfragen zulässt – sollte wissenschaftliche Forschung in einem demokratischen Gemeinwesen politische und gesellschaftliche Themen behandeln.
Damit die Transferleistung in diesem Sinne gelingt, braucht es drei Dinge: Relevanz (das ist klar), Glaubwürdigkeit (das ist wichtig) und Legitimation. Legitimation bedeutet in diesem Kontext nicht etwa ein formaler Rückhalt in der Bevölkerung, wie er über demokratische Beteiligungsprozesse im Rahmen üblicher Entscheidungsverfahren (Abstimmungen, Wahlen) erreicht werden kann, sondern „bezieht sich auf die Frage, ob Akteurinnen und Akteure den Beratungsprozess als transparent, unvoreingenommen sowie politisch und prozedural als fair ansehen“. Dies wiederum ist erzielbar, wenn sich der Wissenstransfer „am öffentlichen Zweck orientiert“ und „Gemeinwohlwerte, Interessen und Wünsche der Gesellschaft integriert“. Diese Werte und Wünsche müssen sich ihrerseits im herkömmlichen politischen Prozess bilden bzw. artikulieren.
Der Appell, den das Buch aussendet, ist ebenso deutlich wie wichtig: Umweltwissenschaftliche Forschung muss in die Praxis des Handels heruntergebrochen werden, um wirksam werden zu können. Sie soll diese Wirksamkeit entfalten, weil und soweit dies die Gesellschaft in der Bewältigung ihrer Gegenwartsprobleme stärkt. Tatsächlich zeigen neuere Fallstudien die Bedeutung der Partizipation im Sinne echter Einbeziehung und ernsthafter Beteiligungsmöglichkeit. Insoweit geht in den Umweltwissenschaften am Praxisbezug der theoretischen Modelle, aber auch an der Mitwirkung der Praxis am Forschungsdesign kein Weg mehr vorbei.
Biographische Daten:
Michael Böcher / Max Krott: Mit Wissen bewegen! Erfolgsfaktoren für Wissenstransfer in den Umweltwissenschaften.
München: Oekom (2014).
211 Seiten, 29,95 Euro.
ISBN: 978-3865814722.
Josef Bordat
Tags: Elfenbeinturm, Wissen
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