Mittwoch, 23.12.2015 | 16:51 Uhr
Autor: rwmoos
November 1918. Eine deutsche Revolution: Karl und Rosa
Auf auf zum Kampf, zum Kampf
Dass Alfred Döblin auch ein Monumentalwerk über die Deutsche Novemberrevolution verfasst hatte, welches zunächst als nicht einmal verlegbar galt, erschien etwas spät auf meinem Schirm. Ein Verwandter hatte 1978 einen „Spiegel“ mit einer profunden Buchbesprechung des kongenialen Hans Mayer in die Zone geschmuggelt. Hans Mayers Biografie nach dem Krieg ähnelte der Döblins, was ihm ein besonderes Verständnis für dessen Situation und Denkweise eröffnete.
Der Südwestrundfunk (SWR) hat nun zusammen mit dem NDR den Mut besessen, Döblins Revolutions-Werk als Hörspiel umzuarbeiten. Wer, wenn nicht der SWR. Seinem Vorgänger, dem Süddeutschen Rundfunk, gebührt schließlich der Ruhm, seinerzeit den Prozess gegen Hermann Souchon geführt zu haben. Jenem Souchon, der der wirkliche Mörder von Rosa Luxemburg war. In dem 1919er Prozess wurde er nur inoffiziell als Zeuge geladen und kam ungeschoren davon. Erst in den 1970ern kam seine Rolle heraus. Der Süddeutsche Rundfunk machte das öffentlich und wurde von Souchon prompt verklagt. Wegen Verleumdung. Der SWR verlor, weil der damalige Richter meinte, sich auf den Prozess von 1919 beziehen zu müssen. Merkwürdige Rechtsauffassungen waren damals in der alten Bundesrepublik an der Tagesordnung. Aber gut – die Rechtsauffassungen im anderen deutschen Staat waren ja noch merkwürdiger.
Der SWR also. Die ersten beiden Teile sind schon eine Weile auf dem Markt, da kommt an Weihnachten 2015 nun auch der dritte Teil heraus, der, entsprechend der ursprünglichen Version Döblins, „Karl und Rosa“ untertitelt wurde. Erst-Sendetermin: 25. und 26.12.2015.
Wer nun eine Art historischen Roman erwartet, ein Werk, gefällig zu lesen respektive anzuhören, in etwa, wie Arnold Zweig es für gewöhnlich abzuliefern beliebte, der wird enttäuscht. Schon Döblin selig wählte als Charakteristikum seines dreiteiligen Opus‘ nicht etwa das allseits bekannte Substantiv „Roman“, sondern bezeichnete es als „Erzählwerk“. In einem gewaltigen Kraftakt versucht er darin, nicht nur die historischen Ereignisse zu fassen und zu raffen, sondern auch die dahinter liegenden Triebkräfte. Dabei lässt er sich in der ihm eigenen Singularität weder völlig auf eine materialistische Interpretation ein, wie sie über lange Zeit von seinen linken bis linksliberalen Kollegen favorisiert wurde, noch verfällt er einer rein metaphysischen Deutungsebene, wie man sie ihm, insbesondere im Nachhinein, da man von seinem Bekehrungsweg zu katholischen Mystizismus weiß, zu unterstellen geneigt ist. Er „switcht“ quasi zwischen diesen Polen hin und her. Insbesondere zeigt sich das in seiner Figur der Rosa Luxemburg – doch dazu später mehr.
Um es gleich zu sagen: Die Hörspielfassung des SWR geht mutig an die Sache heran, kann aber dem Stoff und seinem Autor nur ansatzweise gerecht werden. Nicht weil sie nicht gut genug wäre, sondern weil das Werk sich schon in seiner Schriftform einem leichten Verständnis entzieht. In einem auch nur einigermaßen überschaubaren Rahmen kann man eine solche literarische Form schlichtweg nicht dramatisieren. Angesichts dieser prinzipiellen Unmöglichkeit aber hat der SWR dann doch Großartiges geleistet. Die Sprecher-Besetzungsliste ist gegenüber den beiden zusammengefassten ersten Teilen noch einmal angewachsen und kann nur als hervorragend bezeichnet werden. Jeder Part ist – auch das nicht selbstverständlich – deutlich zu verstehen. Die entsprechenden historische Personen werden vom Sprecher (Jan Hofer) jeweils mit Namen und Angabe der Lebensspanne eingeführt – Letzteres hilft bei der historischen Eintaktung … und auch dabei, zu verifizieren, wenn sich verschiedene Generationen mit ihrem Background begegnen.
Zum Kampf sind wir geboren
Dr. Becker ist ein Protagonist des „Erzählwerks“. In „Karl und Rosa“ tritt er erst relativ spät in die Struktur ein, doch schafft es der SWR, ihn ohne Rückblende „… was bisher geschah“ einigermaßen problemfrei auch jenen Hörern gegenüber einzuführen, die die bisherigen Teile nicht kennen.
Als Weltkriegsteilnehmer verwundet, ist Dr. Becker von jedweder Kriegsverklärung geheilt und tritt damit in einen gewissen Gegensatz zu den Gymnasialhelden, die er in Griechisch unterrichten muss, und die sich schon wieder jenen Hurra-Patriotismus zu eigen machen, der dann bekanntlich in die nächste Katastrophe führte.
Indes herrschen in Berlin und andernorts bürgerkriegsähnliche Zustände, die einer vorsichtigen Bewertung zu unterziehen, sich Döblin anheischig macht. Denn obwohl jener Dr. Becker ja gerade dem Krieg abhold geworden ist, findet er sich, wenngleich in der Hauptsache aufgrund einer persönlichen vielschichtigen Zuneigung, auf den Barrikaden des Spartakusbundes wieder und dort soviel Sinn als ihm nur irgend möglich erscheint.
Da ist der Dr. Becker seinen kriegsgeilen Schülern doch wieder sehr, sehr nahe gekommen.
Wobei im Hintergrund für alle die ungelöste Frage schwingt, wer denn in revolutionären Zeiten der Souverän sei. Das Volk vielleicht? Und wer kann dann zu Recht reklamieren, das Volk hinter sich zu haben? Die Mehrheits-Sozialisten? Die USPD? Der Spartakusbund? Die Konservativen? Die Militärs? Hinzu kommt, dass deren jeweilige Eliten selbstredend für sich in Anspruch nehmen, die „wahren Interessen“ der indefiniten Mehrheit zu vertreten, selbst, wenn diese Mehrheit ihre wahren Interessen noch gar nicht kennt.
Es steht ein Mann, ein Mann, so fest wie eine Eiche
Dr. Becker, wenngleich von inneren Zweifeln zerrissen, nimmt klare Positionen ein. Interessant, wie Sebastian Rudolph dies in seiner Stimmwandlung zum Ausdruck bringt: Die klare, pointierte Rede, mit der tatsächlich Gesprochenes zum Ausdruck kommt. Und jene mephistophelisch anmutende innere Stimme, die innere Dialoge spinnt. Man muss sogar gelegentlich schwer aufmerken, um die gemeinsame Identität beider Stimmen zu begreifen.
Derart nach außen einen jeweils klaren Standpunkt vertretend, scheint Dr. Beckers Wirken schließlich von Erfolg gekrönt zu werden als schließlich sogar der Schulrat seine im Kriege geschulte Haltung trotz inhaltlicher Bedenken würdigt. Der Schein trügt.
Vielleicht ist er schon Morgen eine Leiche
Fast noch gelungener als im Buch, auch wenn beim Hörspiel Kürzungen unvermeidlich waren, wird hier durch die Vermittlung Dr. Beckers im Griechischunterricht Sophokles‘ „Antigone“ als Schlüsselbild verwendet. Interessant der Unterschied zu Hegel, bei dem die Antigone-Thematik – nicht nur in der „Phänomenologie des Geistes“ – ständig mitschwingt. Baut Hegel die Antigone-Antagonie zwischen grundlegenden Werten und genormten Gesetz aus, so ist dies bei Döblin nur vordergründiges Thema. Er lässt Dr. Becker, der in bester Antigone-Tradition die Bestattung eines Geächteten durchzieht, vielmehr als Grundfrage einer Gesellschaft fixieren, wie diese mit ihren Toten umgeht. Ist dies unter archäologischem Gesichtspunkt ohnehin die Geburtsfrage von Kult und Kultur, so gerät das Verhältnis zum Tod bei Döblin zur Grundfrage einer beständigen Gesellschaft ebenso wie zur Grundfrage des Einzelschicksals.
Werden Tote anonym bei einer Wache abgeladen (Liebknecht) oder in den Landwehrkanal geschmissen (Luxemburg), so zeigt der dahinter stehende Ungeist, wes Kind er ist. Heute gilt die Urheberschaft, zumindest das Einvernehmen von Noske und Ebert am Tod der beiden als geschichtlich gesichert. Die Frage, ob ein Liebknecht im Falle des eigenen Erfolges ebenso mit seinen Gegnern verfahren wäre, wird im Hörspiel nahe gelegt, bleibt aber offen.
Wie es so vielen unsrer Brüder ging
Das gegenseitige Gemetzel – man beschönigte es damals mit den Worten „Blutvergießen“ – klingt uns heute in Deutschland ewig fern. Doch sind genau das die Situationen, wie sie derzeit (Weihnachten 2015) in Syrien, Burundi und an so vielen anderen Orten an der Tagesordnung sind. Die Bilder von damals (Erschossene an Hauswänden in Berlin – drumherum gleichgültig blickende Menschen) gleichen denen, die ich heute in der Zeitung sah (Erschossene an Hauswänden in Bujumbura – drumherum gleichgültig blickende Menschen) auf das Haar. Greift man die Anregung von Döblin auf, so wäre die erste humanitäre Intervention, alle Parteien zu bitten, respektvoll mit den gegnerischen Toten umzugehen. Wenn dieses Hörspiel einen Schritt in diese Richtung zu leisten vermag, darf es für sich in Anspruch nehmen, Kunst im besten Sinne des Wortes zu sein.
Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen
Wie aus anderen Quellen verlautet, hat Döblin den deutschen Revolutionären eine gewisse Inkompetenz vorgeworfen, weil sie mehr auf Reden als auf Handeln setzten. Die Fraglichkeit des „Handelns“ der russischen Bolschewiki, das ja in den Massenerschießungen kumulierte, blieb dabei durchaus im Blick. Im Buch und sogar noch ein wenig drastischer jetzt im Hörspiel, wird diese Auseinandersetzung zwischen Karl Liebknecht, der sich an die Spitze der linksrevolutionären Bewegung setzte, und Rosa Luxemburg, die als theoretisierende Taktiererin beschrieben wird, gelegt. Das entspricht zwar so nicht ganz den historischen Tatsachen, bedient aber ein gängiges Mann-Frau-Klischee. Wolf-Dietrich Sprenger verleiht Liebknecht, der hier auch immer wieder gern mit „Doktor Liebknecht“ betitelt wird, dabei eine professoral angehauchte Stimme, die so gar nicht zu den blutigen Konsequenzen seiner Rhetorik passen will. Doch gerade in diesem Zusammenspiel verdeutlicht sie jene kommunistischen Gelehrten, die ihre Theorien zunächst in Russland, dann bald in vielen Ländern des Ostens durchzusetzen wussten, und die die Blutspur, die sie zogen, erst dann kritisierten, wenn sie selbst zum Zielpunkt hinter Kimme und Korn gerieten. Kamenew, Sinowjew, Trotzki – um nur einige dieser Namen zu nennen.
Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand
Rosa Luxemburg, deren innere Kämpfe angerissen, aber – ein evtl. gewollter historischer Fehler Döblins – als psychisch pathologisch dargestellt werden, war in ihrer Rhetorik und Kompromisslosigkeit potentiell mindestens genau so gefährlich wie Liebknecht. Wenn erst einmal grundlegend menschliche Werte mit der Begründung „notwendiger Opfer“ beiseite geschoben werden, ist nur noch der „innere Schweinehund“ (um einen Ideologen der anderen Extremen zu zitieren) zu überwinden. Und dann ist es keine Frage der Herkunft, der Bildung oder der guten Kinderstube mehr, wie tief man bereit ist, sich in Schuld zu verstricken, die dann als quasi indifferente Schuld eines ganzen Volkes erlebt wird. In Bezug auf den Ersten Weltkrieg erkennt Döblins Dr. Becker diese Zusammenhänge. In Bezug auf die gerade durchzuführende Revolution bleibt die Erkenntnis äußerst vage.
In der DDR hat man Liebknecht und Luxemburg für die politische Propaganda instrumentalisiert. Mit Hinsicht auf die vielseitige und -schichtige Luxemburg darf man sogar sagen: Rücksichtslos ausgeschlachtet. Es hatte einen gewissen Reiz, die staatlich gelenkten Liebknecht-Luxemburg-Demonstrationen dann dazu zu nutzen, ein Zitat von Rosa Luxemburg zur Bekanntheit zu bringen, dass den Herrschenden alles andere als angenehm war: „Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden“. Ein propagandistischer Coup, der, wie sich einige Eingeweihte erinnern, mit ganz am Anfang der Wende-Bewegung in der Zone stand. Damals zirkelten in den oppositionellen Kreisen ihre Briefe aus dem Gefängnis, die das Bild einer ganz anderen, hoch sensiblen Frau aufzeigten. Diese Wahrnehmung war aber genau so einseitig, denn es gab auch die Scharfmacherin Luxemburg, die jederzeit einer Hilde Benjamin ebenbürtig geworden wäre.
Im Hörspiel verleiht Judith Hofmann Luxemburg ihre Stimme. Auch hier wird ein deutlicher Unterschied zwischen der sensiblen Gefangenen, ihrer psychologisch anfragbaren Nicht-Verarbeitung einer Trennung einerseits und der Rhetorikerin und Parteipolitikerin andererseits herausgearbeitet. Der erste Part gelingt Hofmann phantastisch, der zweite erscheint mir ein wenig zu steril gesprochen. Nachweislich hat die historische Rosa Luxemburg Massen begeistern können. Auch weil sie sich selbst begeistern konnte. Davon merkt man hier zu wenig.
Wir fürchten nicht ja nicht, die Noske-Polizei
Zur Verdeutlichung der historischen Lage konnte Döblins Roman einerseits nur bedingt beitragen, da viele Dokumente und Zeugnisse erst später auftauchten. Andererseits erstaunt die Sicherheit, mit der er das Zweckbündnis zwischen der Generalität (Groening) und der Sozialdemokratie (Ebert mit Noske als „Bluthund“) beschrieb. Dem Gros der Gesellschaft schien die Behauptung eines solchen, eigentlich beiden Parteien wesensfremd erscheinenden, Bündnisses lediglich kommunistische Propaganda zu sein.
Ein heutiges Urteil fällt nicht leicht. Für ein reichliches Jahrzehnt konnten die Links-Mitte-Regierungen der Weimarer mit harschem Durchgreifen gegen die extreme Rechte wie gegen die extreme Linke einen relativ friedlichen Staus Quo sichern. Gereicht hat es nicht. Und wenn ich hier Euphemismen wie „harsches Durchgreifen“ gebrauche, muss ich mich fragen lassen, ob ich nicht selbst dem irrigen Gedanken der „notwendigen Opfer“ erlegen bin. Döblin hat versucht, ihn religiös aufzulösen und hat damit bekanntlich Brecht & Co peinlich berührt. Doch ob die Frage, ob solche Menschen-Opfer wirklich nötig sind, „irreligiös“ (so die diesbezügliche Brechtsche Wortschöpfung) aufgelöst werden kann, sei ebenso dahin gestellt.
Insgesamt geht ein herzlicher Dank an SWR & NDR für diese Produktion. Das Zuhören lohnt allemal. Allerdings sind dabei z.B. im Auto komplizierte Verkehrslagen zu meiden: Dieses Hörspiel erfordert höchste Aufmerksamkeit.
Empfundene Schwächen sind nicht der Umsetzung als Hörspiel geschuldet, sondern liegen in der Natur der Dinge. Döblins sehr eigen gestaltetes Opus sträubt sich gegen eine Dramatisierung. Diese Widerborstigkeit nicht geleugnet, sondern in eine ebenfalls sehr eigene Form gegossen zu haben, ist ein Verdienst der Produzenten und von Regisseurin Iris Drögekamp.
Reinhard W. Moosdorf
Dezember 2015
Tags: Alfred Döblin, Karl Liebknecht, November 1918, Rosa Luxemburg
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