Dienstag, 02.08.2011 | 16:11 Uhr
Autor: Immo Sennewald
Klatsch und Tratsch sind ein soziales Hintergrundgeräusch, dessen Einfluss gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Den Beweis liefern weniger die Auflagenstärken einschlägiger Periodika, als vielmehr wissenschaftliche Untersuchungen. Schon zu Zeiten Henry Fords wiesen sie z.B. nach, dass arbeitende Frauen sehr viel Zeit mit derlei Kommunikation vertun. Als Manager Maßnahmen trafen, Klatsch und Tratsch am Arbeitsplatz zu verhindern, ging die Produktivität in den Keller. Birgit Althans hat 2000 auf unterhaltsame Art untersucht wie “Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit” zusammenhängen. Natürlich fing alles dort an, wo mit namensgebendem Geräusch Wäsche auf Wasser bzw. Steine traf und allerlei Flecken den sozialpolitischen Diskurs an der weiblichen Basis in Gang setzten. Für Freunde der Statistik böte sich an herauszufinden, wer an schmutziger Wäsche mehr verdient: “Gala”, “Bunte”, “Neue Revue” etc. (nach Verlagen aufgeschlüsselt, nach Gendergesichtspunkten …) oder die Waschmittelindustrie.
Wer Lust auf einen intelligenten, mit Witz, Ironie und gehörigem Rechercheeifer verfassten Überblick über allerlei Skandale und Skandälchen im Weimar der Goethezeit hat, dem sei empfohlen, Andrea Schütte-Bubenik auf ihre Reise dorthin zu folgen. Sie hat “Unerhörtes” aus Briefen und Tagebüchern von Zeitgenossinnen – weniger von Zeitgenossen – aufgelesen, sortiert in lauter kleine Theaterstückchen, lässt darinnen Schiller, Goethe, Herder, Wieland, adlige und bürgerliche Komparserie als Marionetten an ihren Erzählfäden tanzen. Vor jedem Dramolett werden die Puppen neu kostümiert, sie treten in wechselnden Kulissen auf und ab. So sehen wir sie, sich wechselseitig kommentierend, Allotria treiben, das kreiselt wie immer beim Klatsch ums “Wer mit Wem”, um ungebärdige Kinder, Eifersucht, Fauxpas, Un- und Glücksfälle des Alltags.
Die entscheidenden Beiträge liefern – wer sonst – die Frauen: Charlotte von Stein, Mutter und Tochter Schopenhauer, Bettina von Arnim, die Droste, Ottilie von Goethe, Sophie von La Roche, Karoline Herder – um nur wenige Namen zu nennen. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, hecheln durch, zerreißen sich die Mäuler, lassen keinen guten Faden an Rivalinnen: das ganze Klatschrepertoire wird beherrscht. Das Beste aber an Schütte-Bubeniks Bühne: Sie dreht auch die medizinischen bzw. homöopathischen und naturwissenschaftlichen Schauplätze zur Rampe, Kirchen und Luftschiffe tauchen auf, eher die kleine als die große Politik.
Das Buch habe ich nicht am Stück gelesen, sondern mit wiederkehrendem Vergnügen über fast zwei Jahre; Autorin und Verlag werden mir nachsehen, dass keine “zeitnahe” Rezension entstand, dafür aber eine ungeteilte Empfehlung.
Andrea Schütte-Bubenik “Eine unerhörte Reise in die Goethezeit: Handbuch für Kulturverdrossene” Verlag Königshausen und Neumann 2009, 244 Seiten, 19,80 €
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11.05.2012 um 9:54 Uhr
[…] bekommt sie verbrannten Toast, selbstgemischte Säfte und den mittlerweile schon kalten Kaffee ans Bett gestellt. Es folgen auswendig gelernte Gedichte, die sich von Jahr zu Jahr nicht mehr wirklich […]