Montag, 18.02.2013 | 23:20 Uhr

Autor: Andreas Schröter

John Irving: In einer Person

John Irving: »In einer Person«Ein 720 Seiten langes Plädoyer für Toleranz – das ist der neue Irving „In einer Person“.

Der mittlerweile 70-jährige amerikanische Autor beschreibt in Ich-Form das Leben des bisexuellen William („Billy“) Abbott von den 50er-Jahren bis in die Gegenwart. Los geht’s in einem Jungen-Internat in Vermont, wo Billy sich unsterblich in die selbstsichere Bibliothekarin Miss Frost verliebt. Gleiches gelingt ihm aber problemlos auch mit dem attraktiven und arroganten Ringer Jacques Kittredge. Der Leser lernt Billys skurrile Familie kennen und lieben: Großvater Harry, der in Theateraufführungen – und gelegentlich auch sonst – am liebsten in Frauenrollen schlüpft, den versoffenen, aber liebenswürdigen Onkel Bob oder die zänkischen Frauenfiguren Nana Victoria und Tante Muriel. Es gehört sicherlich zu den Talenten Irvings, solche Figuren immer so auszugestalten, dass man als Leser nach ein paar Seiten meint, sie schon immer gekannt zu haben – und sie auch nicht mehr missen zu wollen.

Eine andere – sympathische – Eigenart Irvings ist es, in seine Romane immer wieder kleine aberwitzige Geschichtchen einzubauen, die dazu führen, dass der Leser ein permanentes Grinsen im Gesicht behält. Ein Beispiel: Billys Vater lernt die Liebe seines Lebens als Soldat im Krieg während eines heftigen Sturms kennen: Sie sitzen beide auf dem Donnerbalken (einer behelfsmäßigen Toilette) und lesen, während ihre Kameraden seekrank in ihren Kojen liegen. Bei einer besonders heftigen Welle rutschen sie einfach aufeinander zu.

Doch „In einer Person“ ist auch anders als frühere Irvings. Es ist radikaler und derber. Der Autor schreckt weder vor den körperlichen Details der männlichen homosexuellen Liebe, noch – im weiteren Verlauf des Buches – vor den unschönen Begleiterscheinungen von Aids zurück. Das ist nichts für Zartbesaitete.

Viele weibliche, männliche und transsexuelle Bettgenossen später schleichen sich versöhnlichere Töne ein. In einer Gegenwart, in der es schwule und lesbische Theaterclubs gibt, scheint es sich als Bi- oder Homosexueller leichter als in den 50er-Jahren zu leben, auch wenn es immer noch angesagt scheint, einen guten Ringergriff zur Selbstverteidigung zu kennen. Ein gutes Buch!

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John Irving: In einer Person.
Diogenes, September 2012.
725 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,90 Euro.

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