Sonntag, 18.12.2005 | 15:40 Uhr

Autor: Christian Köllerer

Fouad Allam: Der Islam in einer globalen Welt (Wagenbach Taschenbuch)

Der Islam in einer globalen WeltFouad Allam ist gebürtiger Algerier und arbeitet als Soziologe an der Universität Triest. Seine Studie ist der ambitionierte Versuch, einen Überblick über die aktuelle politische Diskussion innerhalb der islamischen Gelehrtenwelt zu geben, wobei historische und geistesgeschichtliche Exkurse nicht zu kurz kommen.
Die Oberflächlichkeit der durch die politische Diskussion konstruierten Fronten zwischen dem Islam und den Rest der Welt entlarvt Allam, in dem er die geistesgeschichtlichen Einflüsse europäischer Denkschulen auf Vertreter des islamischen Fundamentalismus zeigt. So freundete sich der einflussreiche Mohammed Iqbal (und andere Intellektuelle seiner Generation) schnell mit der Philosophie Heideggers und Bergsons an. Irrationale Geistesverwandschaften.
Doch nicht nur Allams interkulturelle Analysen sind scharfsichtig. Er legt seine Finger auch auf die offenen Wunden der fundamentalistischen Bewegung. Während diese in Anspruch nähme, den „wahren Islam“ zu vertreten, sei sie doch weit entfernt von den historischen und kulturellen Wurzeln dieser Kultur:

Der Begriff „zeitgenössischer Islam“ macht es möglich, eine Bruchlinie zu ziehen zwischen dem historischen, anthropologischen Islam und einem neofundamentalistischen Islam, der das paradoxe Ergebnis des Akkulturations- und Modernisierungsprozesses der muslimischen Gesellschaften ist. Er merzt die Dimension der Kultur aus der religiösen islamischen Identität aus, er trennt sie von ihrer historischen, theologischen und philosophischen Überlieferung und macht sie zu einem abstrakten und ideologischen Konstrukt.
[S. 88f.]

Ein selten kluges Buch zum Thema.

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12 Kommentare

  1. Lisa Says:

    Allerdings: Etwas mit „selten klug“ zu loben, ist selten klug. 😉
    scnr – nichts für ungut, merci für den Tip.

  2. Oliver Gassner Says:

    Ich hab mir nur kurz versucht eine nicht-globale Welt vorzustellen 😉

    @Lisa: Wenn ich mich recht aus diversen Chats entsinne, bei denen Christan mit Tipps gab, beschäftigt er sich schon ne weile mit Koranrezeption/edition & Islam, insofern kann er eveeeentuell abschätzen, wieviele kluge Bücher es in dem Bereich gibt. Man sagt ja z.B. Herr Scholl-Latour liege nicht selten daneben mit seinen Analysen.

  3. CK Says:

    Habe in der Tat versucht, mir einen Überblick über derartige Publikationen zu verschaffen. Vor allem in Hinblick auf Reisen in islamische Länder (Türkei, Ägypten). Differenzierte Darstellungen sind selten. Scholl-Latour ist nicht mal diskussionswürdig 😉

  4. Lisa Says:

    Ah, okay, ich sehe, die umgangssprachliche Art, „sehr“ mit „selten“ zu ersetzen, ist schon im Schriftlichen angekommen. Sorry noch mal.
    @Christian: Dass Du das einschätzen kannst, wollte ich Dir sowieso nicht absprechen. Als jahrelanger stiller Mitleser von drb schätze ich solche Empfehlungen und Eure Art der Auseinandersetzung mit Literatur und Gesellschaft.
    @Oliver: Auf Deine Lesart als „unter den vielen – selten – mal ein kluges Buch“ wäre ich nicht gekommen.

  5. Christian Köllerer Says:

    Diese Lesart meinte ich aber.

  6. Unorthodoxe Gedankensplitter | Kandil.de Says:

    […] Christian Köllerer schreibt im Literaturblog über eine Studie von Fouad Allam: Der Islam in einer globalen Welt. #| Ines Balcik am 19.12.05 |0 Comments (0) 0 Trackback | Druck | E-Mail Buchtipp […]

  7. Oliver Gassner Says:

    Sorry, aber ’selten klug‘ ist für mich ne ganz normale (übrigens typisch ’schriftliche‘ und ‚gehobene‘ und gar nicht umgangssprachliche) Formulierung.

    Bloß weil man dir eher ‚du bist aber selten dämlich‘ sagt, hat das ’selten‘ ja keinen negativen Touch.

    Aber ggf. ist selten ein ebenso selt-sames Wort wie heimlich/unheimlich.

  8. Lisa Says:

    Nö, auch nach Duden (okay, das muss vielleicht auch nix heißen) ist es immer noch umgangssprachlich, wenn es als Verstärkung benutzt wird. Genau wegen der Missverständlichkeit – „Du bist selten dämlich“ kann „nicht oft“ oder „sehr“ bedeuten – wird vom Gebrauch im Schriftsprachlichen als Verstärkung abgeraten bzw. zur Verdeutlichung geraten.
    Ich lese „selten“ auch immer noch als „wenig/rar“, wenn nicht der ganze Kontext schon deutlich macht, dass es eher lax umgangssprachlich zugeht, deswegen war der letzte Satz für mich auch ein Widerspruch zum Text.
    „Ein seltenes, kluges Buch / Eins der seltenen klugen Bücher zum Thema…“ wäre für mich nicht missverständlich gewesen. „Selten klug“ ist eigentlich immer noch genau das – „nicht oft klug“.
    Aber mag schon sein, dass ich einen Sprachgebrauchswandel verpasst habe.

  9. wonderboy Says:

    Ein selten kluges Buch schreibt man einfach nicht. Literaturblogs sind selten lustig. Und jetzt, meine Damen und Herren, ein Kommentar von Oliver Gassner:

  10. Oliver Gassner Says:

    Wonderboy, Du bist mein Held. Wow ey. Elegant argumentiert. Chapeau (das ist nix schweinisches).

    @Lisa:
    Und der DUDEN ist gelegentlich ind wie du vorsichtig andeutest das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. Es sei denn man müsste mal…

    Ich erlaube mir, das Grimmsche Wörterbuch auszugsweise zu bemühen, ja?

    „häufig dient das wort zur bezeichnung des hervorragenden in gutem sinne (…)

    mit seltner kunst flichtst du der götter rath
    und deine wünsche klug in eins zusammen.
    GÖTHE 9, 34;

    gieb mir (o vorsicht)
    den seltnen mann mit reinem, offnem herzen,
    mit hellem geist und unbefangnen augen,
    der mir sie (wahrheit) finden helfen kann.
    SCHILLER don Karlos 3, 5;

    der seltne mann will seltenes vertrauen.
    Piccol. 1, 4.“

    Gut, zugegeben, hier immer bei Nomina. wieso es dann bei Kobi mit nem Adjektiv ‚ugs.‘ werden sollte, bleibt mir spontan verborgen. Aber Wonderboy wird mir das sicher exemplifizeren.

    Und vorher ist erwähnt dass der adjektivische Gebrauch ’neuer‘ sei und dass selten zunächst nur Adverb war.

    Und unter 7) ist dann erwähnt, dass es auch ‚eigenartig‘ heißen kann.

    Und hier das Link zum stöbern:
    http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/

    Die von DUDEN empfohlene Verdeutlichung *war* ja da, durch die vorhergehende lobende Rezi nämlich.

    (Das ist aber mal eine selten nette Debatte. *g*)

  11. Lisa Says:

    Ach ja, die Grimms und Schillers usw. Denen hätten bei „Das Glas ist voll leer“ vermutlich noch die Ohren gewackelt, während heute nicht mal ein bisschen gegrinst wird beim Nachschenken.
    Bei „voll“ ergibt das Flektieren keinen Sinn, ein „volles leeres Glas“ ist (noch?) UNsinn, während ein „voll leeres Glas“ betrüblich ist.

    Bei unflektiertem „selten“ vor anderen Adjektiven wird’s hingegen mehrdeutig. Aber ich will nicht streiten, wenn Ihr das gar nicht so empfindet. Ein selten schönes Jahresende mag ich Euch trotzdem nicht wünschen. Lieber „nur“ ein schönes. 😉

  12. Oliver Gassner Says:

    Ja, Sprache ist nur toll, wenn sie sich nicht verändert. (‚Sehr‘ hieß mal ‚krank‘ und jemand der ‚Sehr krak‘ war, war wie ein ‚voll volles Glas‘.)

    Mit Verlaub, mich kotzt Sprachpflege einer bestimmten Geschmacksrichtung an.

    Ich klau mal bei mir selbst:
    http://www.itfrontal.de/2005/05/sprachwandel_ei.html

    Sprachreinhaltung: die erste Stufe der Barbarei

    Die Kultur wandert: Kulturen entstehen, bewegen sich, treffen sich, vermischen sich und sterben. Das Wort ‚Kultur‘ kommt vom ‚Bebauen‘ des Landes mit Pflanzen, es wird etwas ‚gezogen‘, Pflanzen sollen anders wachsen als in der Natur. Kultur ist immer das Un-Natürliche. Mit der Kultur geht die Sprache einher. Mal ist es eine der Formen und Farben, mal eine der Töne und Gesänge, mal eine der Worte. Worte entstehen, Sprachen treffen und vermischen sind. Und manche Leute meinen, so tun zu müssen, als hätte der Neanderthaler schon Oxfordenglisch gesprochen.

    Sprache hat sich immer gewandelt und wird sich immer wandeln. Und das meist auf ‚unnatürliche‘ Weise, indem sich Sprachen vermischen, indem die eine Sprache vermeintlich ‚eindringt‘ und ‚verfremdet‘.

    So das Latein zweimal ins Englische, das Skandinavische einmal, das Französische einmal. Englisch ist eigentlich schon das ultimative Pidgin/Creole aus romanischen und germanischen Elementen. Kein Wunder also, dass es so begierig von den anderen Sprachen adoptiert wird. Ja, adoptiert – als Kind, das dann selbst wieder produktiv wird (Dressman, Händi).

    Anders: Würde die Online-Kultur (die Urbarmachung des digitalen Raumes) keine neue Sprache erzeugen, es wäre ein Wunder. Würde diese Sprache nicht von der geschrieben und gesprochenen Alltags- und Fachsprache ‚adoptiert‘, es wäre nun definitiv un-natürlich. Kurz gefasst: Wer keinen Sprachwandel will, der will das Ende der Kultur. Oder noch pointierter: ‚Sprachreinhaltung‘ ist die erste Stufe der Barbarei.

    Flame away 😉

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