Samstag, 19.04.2008 | 14:34 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Was wäre aus Adolf Hitler geworden, wenn er 1908 an der Wiener Kunstakademie nicht abgelehnt worden wäre? Diese Frage stellt Eric-Emmanuel Schmitt in den Mittelpunkt seines neuesten Werks „Adolf H. – Zwei Leben“. Hätte bei etwas anderer Weichenstellung aus dem späteren Diktator ein ganz normaler, unauffälliger Mensch werden können? Wäre Deutschland, den Juden und der Welt die Katastrophe des 20. Jahrhunderts erpart geblieben? Der 1960 geborene Autor antwortet darauf mit einem entschiedenen „Ja“.
Um diese These zu belegen, stellt er auf 500 Seiten zwei Lebensläufe gegenüber: den des tatsächlichen Adolf Hitler und den einer fiktiven Figur namens „Adolf H.“, die 1908 an der Kunstakademie angenommen wurde. Während Hitler sich im Obdachlosenmilieu Wiens durchschlägt, finanziert Adolf H. sein Leben mit ersten kleinen Aufträgen als Grafiker und Maler. Als Adolf H. Freud trifft, der ihn von seinen sexuellen Problemen heilt, geht die Schere der beiden Lebensläufe immer weiter auseinander. Hitler geht seinen bekannten Weg und wird ein menschenverachtender Diktator, während Adolf H. zum angesehenen Maler wird, verschiedene Frauenbekanntschaften hat, eine Familie gründet und sich später sogar als Professor um das Wohl der nachfolgenden Künstler-Generationen kümmert.
Wie Schmitt selbst am Ende des Buches in einem „Arbeitsjournal“ ausführt, haben ihm viele seiner Freunde von dieser Thematik abgeraten. Auch Thomas Laux, ein Rezensent der Zürcher Zeitung, ist der Ansicht, Schmitt hätte dieses Buch besser bleiben lassen sollen. Alles wirke schlicht „bis ins Übermaß konstruiert, verkitscht und verschwurbelt“. Fakt ist, dass Schmitt mit seinem Ansatz eine angeborene, unheilbare psychische Störung Hitlers negiert, seine Entwicklung lediglich den äußeren Umständen zuschreibt – eine These, die zumindest strittig bleiben dürfte.
Eines kann man „Adolf H.“ sicher nicht vorwerfen: dass es langeweilig wäre. Der Lebenslauf des echten Adolf Hitler ist gut recherchiert, so dass er zeitweise wie ein Sachbuch über historische Fakten informiert, der des Adolf H. ist oft unterhaltsam. Dennoch: Am Ende der Lektüre bleibt ein ungutes Gefühl zurück: Wird man mit dieser Form der Geschichtsbewältigung der Monströsität eines Adolf Hitler gerecht? Ist der Lebenslauf des Adolf H. nicht tatsächlich allzu willkürlich konstruiert, um damit eine Aussage über alternative Lebensläufe des Diktators zu treffen?
Eric-Emmanuel Schmitt ist in Deutschland vor allem mit seinem auch erfolgreich verfilmten Roman „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ (Hauptrolle Omar Sharif) berühmt geworden. Ein weiteres seiner Bücher heißt „Das Evangelium nach Pilatus“. Wähend er darin das Gute an sich (Jesus) zum Thema macht, ist es in „Adolf H.“ das Böse. So gesehen korrespondieren diese beiden Bücher miteinander, wie Schmitt auch in seinem Arbeitsjournal darlegt.
„Adolf H.“ ist im französischen Original bereits 2001 unter dem Titel „La part de l’autre“ („Der Platz des anderen“) erschienen.
—————————
Eric-Emmanuel Schmitt: Adolf H. Zwei Leben.
Ammann, Februar 2008.
508 Seiten, Hardcover, 24,90 Euro.
Tags: Eric-Emmanuel Schmitt, Hitler, Nationalsozialismus, Nazis
Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos