Montag, 25.11.2013 | 11:31 Uhr

Autor: JosefBordat

Christenverfolgung in islamischen Ländern

Die Christenverfolgung ist eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit. Wie viele Christen tagtäglich unter Schikanen, Repressionen und Behördenwillkür zu leiden haben, wissen wir nicht, die Schätzungen gehen von 100 bis 250 Millionen Menschen weltweit. Auch die Zahl der Todesopfer, also der Menschen, die ermordet werden, ausschließlich, weil sie Christen sind, ist unbekannt. Es könnten über 100.000 jährlich sein, vielleicht auch weniger, vielleicht auch mehr. Jenseits der absoluten Zahlen steht fest, dass Christen diejenigen sind, die am häufigsten Diskriminierung aus religiösen Gründen zu erdulden haben – in vier von fünf Fällen trifft es Christen. Zugleich wird in den Medien relativ wenig darüber berichtet, und wenn, dann zumeist in beschwichtigender Absicht – Tenor: „Alles halb so schlimm!“ Der Schlaglichtjournalismus zeigt ferner nur die Konsequenzen der Christenverfolgung (Zerstörung von Kirchen, Hinrichtungen, Vertreibung), oft herausgelöst aus dem ideologischen Kontext der Verfolgung aus religiösen Gründen. So wird vieles, was Christen im Nahen und Mittleren Osten zu erleiden haben, politischen und ökonomischen Konflikten zugeschrieben, die unter Umständen noch durch ethnische Spannungen aufgeladen sind, deren religiösen Dimension jedoch soweit depotenziert wurde, dass Christenverfolgung als eigener Tatbestand ausfällt, selbst wenn, wie in den letzten Jahren in Nigeria, Christen ganz gezielt als Christen zu Opfern des islamistischen Terrors werden, weil und soweit laufende oder gerade beendete Gottesdienste attackiert werden.

Den Verdacht, dass es nicht völlig abwegig ist, hierbei von Christenverfolgung zu sprechen, erhärtet Christa Chorherr in ihrer Studie zur Christenverfolgung in islamischen Ländern. Unter dem Titel Im Schatten des Halbmonds versammelt sie historische und aktuelle Aspekte des Umstands, dass Christen in bestimmten Regionen, dort nämlich, wo der Islam kulturell, rechtlich und politisch prägend ist, gezielt benachteiligt, verfolgt und oft genug auch getötet werden. Die Autorin geht zurück zu den Anfängen und beschreibt die Geschichte des Islam als eine gewaltsame Expansionsentwicklung. Dabei wurde die Religion phasenweise systematisch missbraucht, zum Zweck der Ausweitung politischer Machtsphären und der Herrschaftskonsolidierung in besetzten Gebieten, oft indem sie dazu eingesetzt wurde, nationalistische Interessen zu überhöhen. Das Prinzip ist dabei stets ähnlich, auch wenn sich die Zeitumstände ändern. Dass dies so ist, liegt wiederum an der zeitlosen Verfügbarkeit sozialer und kultureller Vorstellungen, gewonnen auf der Basis einer starren Koranauslegung, die zu der immer wieder gleichen Begründung für die eigene Überlegenheit bzw. die Unterlegenheit des Anderen führt. Und der Andere war und ist in erster Linie Angehöriger des Christentums – so in Ägypten, so in Syrien, so im Irak, so im Sudan, so in Nigeria, so aber auch in der Türkei bzw. im Osmanischen Reich.

Christa Chorherr fasst in zahlreichen Fallstudien zu den betreffenden Regionen den Stand der Christenverfolgung gut zusammen, bleibt bei den Fakten, spricht jedoch unbequeme Wahrheiten, die sich aus diesen Fakten ergeben, offen und ohne falsche Scheu aus. Beispiel: Türkei. Sie nennt die „freiwillige Aussiedlung“ von Griechen aus der Türkei im Jahre 1914 „Deportation der Griechisch-Orthodoxen“, bezeichnet das Schicksal der Armenier als „Todesmarsch“ und spricht von „bis zu 1,4 Millionen“ griechischen und „bis zu 2 Millionen armenischen“ Opfern der Vertreibung; hinzu kommen „500.000“ getötete assyrische Christen. Das alles in nur acht Jahren (zwischen 1914 und 1922). Das Wort „Völkermord“ nimmt sie in diesem Zusammenhang jedoch nicht in den Mund. Aber auch so wird deutlich, dass die nationale Konstitution der „laizistischen“ Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu 4 Millionen Menschen das Leben kostete – die meisten von ihnen Christen. Auch wenn sich gerade hier die ethnische und die religiöse Identität der Opfer untrennbar vermischt haben und nicht klar herausgearbeitet werden kann, was denn nun an den Vertriebenen und Ermordeten mehr gestört hat, das Nicht-Türkisch-Sein oder das Christlich-Sein, ist das Christentum infolge der „kriegsbedingten Sicherungsmaßnahmen“ (so der offizielle Sprachgebrauch der Türkei für die Vorgänge) aus Kleinasien, der Heimat des Völkerapostels Paulus, praktisch verschwunden. Kirchen wurden zerstört oder zu Moscheen umgestaltet. Bis heute haben es christliche Gemeinden schwer in der Türkei, immer wieder gibt es Übergriffe auf Personen oder Gebäude. Die Römisch-Katholische Kirche ist nur unter strengen Auflagen geduldet.

Nachdem Christa Chorherr gezeigt hat, wie es heute in den einzelnen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, Nordafrikas und Südostasiens für Christen aussieht, also überall dort, wo Muslime in der Mehrheit sind, wagt die Autorin einen Blick in die Zukunft. Für Christen ist diese ungewiss, wahrscheinlich dürfte die Fortschreibung der düsteren Gegenwart sein, die sich länderübergreifend wie folgt darstellt: Obwohl sie als Minderheit unauffällig und angepasst leben, müssen Christen oft als „Sündenböcke“ herhalten, weil sie mit dem „Westen“ identifiziert werden und dieser wiederum für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Land verantwortlich gemacht wird. Dass sich dieser Westen genauso oft ziert, wenn es darum geht, das Leid der Christen überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen, ist die besonders tragische Pointe des Phänomens Christenverfolgung, das die Autorin sachlich und kenntnisreich aufarbeitet. Sie weist schließlich darauf hin, dass es nicht darum gehen kann, nun im „Westen“ den Islam zu diskriminieren, als Retourkutsche gewissermaßen. Stattdessen fragt sie: „Wäre es nicht denkbar, im Westen lebende Muslime aufzufordern, gemeinsam mit den Menschen hier, ob sie nun christlich oder säkular sind, für die Religionsfreiheit in islamischen Ländern einzutreten?“ Auch wenn dies ohne Zweifel denkbar ist, setzt es doch einiges an Verständigung voraus, etwa über den Begriff „Religionsfreiheit“. Die für alle Menschen guten Willens akzeptable Basis sollte es jedoch sein, dass Christen und Muslime „ihre Gottesdienste überall auf der Welt in einem würdigen Rahmen abhalten können“. Christa Chorherrs Wunsch ist damit nicht weniger als der Prüfstein im interreligiösen Dialog, der im Moment leider noch recht einseitig geführt wird.

Bibliographische Daten:

Christa Chorherr: Im Schatten des Halbmonds. Christenverfolgung in islamischen Ländern.
Wien: Styria (2013).
287 Seiten, € 24,99.
ISBN 978-3-222-13393-0.

Josef Bordat

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