Freitag, 28.08.2009 | 14:36 Uhr

Autor: sandrasb

Buchlesung über ein extremes Thema


Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt

Eine extreme Lesung vor dem malerischen Karwendelgebirge

Anlässlich des 4. Europäischen Golfcups fand im Wallgauer Hotel Zur Post eine Buchlesung der besonderen Art statt. Der Berliner Andreas Marquardt, ehemaliger Karate-Champion und einst einer der härtesten Zuhälter Deutschlands erzählt aus seinem Leben. Er selbst sieht sich emotional noch nicht in der Lage aus seinem Buch vorzulesen, „ich bin immer noch zu befangen von meiner eigenen Geschichte“. Das Lesen übernimmt sein Co-Autor und Therapeut Jürgen Lemke.
Marquardts kriminelle Vergangenheit liegt nun schon mehr als zehn Jahre zurück, doch in ihm sind viele brutale Szenen aus seiner „aktiven“ Zeit immer noch präsent.

Der typisch bayerisch eingerichtete Gastraum ist gefüllt mit über 100 Menschen, die am nächsten Tag zum Golfcup antreten. Einige Kinder sind auch unter den Gästen, deshalb werden bei dieser Lesung die härteren Passagen nicht gelesen.

Lemke erläutert kurz, wie er den Ex-Sträfling Marquardt kennen lernte. Im Jahr 2001 erhielt er von ihm einen Anruf. Der ehemalige Zuhälter bat den Psychotherapeuten um einen Behandlungstermin. Nach acht Jahren Gefängnisaufenthalt braucht Marquardt Hilfe. Er will sein Leben ändern, herausfinden, was ihn auf die schiefe Bahn gebracht hat.
Die beiden sind seit dem ein Team. Lemke hat es geschafft, bis in die schwierige Kindheit seines Patienten vorzudringen und Marquardt schafft es schließlich in zahllosen Sitzungen, ein neuer Mensch zu werden. Aus der langjährigen Psychotherapie und der erschütternden Vita Marquardts ist das Buch „Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ entstanden.

Das Buch erzählt von dem kleinen Andy, dessen Vater ein sadistischer Schläger war, der seinen Sohn fast umgebracht hat und von seiner Mutter, die ihn ab seinem 7. Lebensjahr an sexuell missbraucht hat. Detailliert schildert Andy seinem Therapeuten die Sexpraktiken, die er bis zu seinem 14. Lebensjahr mit seiner eigenen Mutter ausführen musste. Schließlich flüchtete sich der traumatisierte Andy in den Kampfsport. Nie hat er sich jemanden anvertraut, für ihn gab es nur ein Ziel: Er wollte der Stärkste und der Beste werden. Seine außerordentlichen sportlichen Erfolge in der Kampfsportszene brachten ihm viele Fans aus dem Berliner Rotlichtmilieu. Er lernte die stadtbekannten „Luden“ kennen und wurde selbst zu einem. Der Weg zum rücksichtslosen Zuhälter war einfach für ihn, denn er hasste Frauen. Jede Frau war „Dreck“ für ihn und er benutzte sie einzig und allein für seine Zwecke.

Ungeschminkt und authentisch wird der Leser in eine brutale Welt geführt, in der es keine Streicheleinheiten gibt, außer die der psychisch kranken Mutter.
Macht, Vergeltung und Rache bestimmten den Alltag Marquardts. Bis er mit Mitte 40 verurteilt wird zu acht Jahren Haft…

Diese tragische Lebensgeschichte bricht eine der hartnäckigsten Tabuthemen in Deutschland: Sexueller Missbrauch seitens der Mutter!

Heute arbeitet Andreas Marquardt auf der anderen Seite. Er betont immer wieder, dass er all das ohne seine Partnerin Marion nicht geschafft hätte. Vor vielen Jahren ging sie für ihn anschaffen und seit elf Jahren sind die beiden nun unzertrennlich. Sie hat immer zu ihm gehalten. Wenn man sie sieht, kann man sich die Kraft nicht vorstellen, die diese zierliche, adrette und eher schüchtern wirkende Person aufgebracht hat, um diese Strapazen über die Jahre auszuhalten. Zusammen mit ihr betreibt er ein Sportstudio in Berlin/Neukölln, das nun in das erste Anti-Gewalt-Zentrum für Jugendliche in Deutschland umgebaut wird. Dieses Zentrum versteht sich als eine Schnittstelle zwischen Sport und Therapie. Marquardt unterrichtet die Kinder in Karate, bringt ihnen bei, wie man aus vermeintlich ausweglosen Situationen herauskommt. Von Lemke werden die Kinder nach dem Sportunterricht sozialtherapeutisch „gecoacht“. Das Projekt wird vom Berliner Eichhorn-Institut wissenschaftlich betreut und von der Humboldt-Universität über zwei Jahre als Studie evaluiert.

Seit Jahren veranstaltet Marquardt Benefiz-Veranstaltungen für Kinder mit speziellen Bedürfnissen. Die gesamten Tantiemen aus seinem Buchverkauf spendet er an Kinder- u. Jugendprojekte. Außerdem hält er gemeinsam mit Lemke in ganz Deutschland Lesungen in verschiedenen Justizvollzugsanstalten. Er möchte mit seiner Geschichte anderen Kriminellen zeigen, dass es möglich ist, sein Leben zu ändern und einen Weg aus der Gewaltspirale zu finden.

In der anschließenden Diskussion im Wallgauer Posthotel interessierte die Zuhörer besonders, warum er sich denn nicht als Kind jemanden anvertraut hatte? Marquardt erklärte, dass die Scham damals für ihn zu groß war, sich mit einem solchen Geheimnis zu „outen“. Außerdem dachte er bis zu seiner Therapie, es wäre seine Schuld gewesen, dass die Mutter ihn missbraucht hatte. Dazu kam noch, dass sie ihm gedroht hatte, wenn er ihre nächtlichen Zweisamkeiten jemanden verraten würde, käme er ins Heim. Sie erklärte dem kleinen Andy immer wieder, dass es etwas ganz besonderes sei, was sie ihm da beibringt und dass er später mal nicht so ein Stümper werden würde wie sein Vater und alle Frauen ihm zu Füssen liegen würden …
Lemke berichtet in diesem Zusammenhang von einer Gerichtsverhandlung, in der sein Patient öffentlich enthüllte, was ihm seine Mutter damals angetan hatte. Mit dem Ergebnis, dass die Anwesenden im Gerichtssaal sich darüber lustig machten und diese traurige Wahrheit nicht ernst genommen wurde.

Die Frage, warum Initiator Christian Kistler zu so einer Veranstaltung ausgerechnet ein solch schwieriges Thema zum Abendhöhepunkt macht, ist schnell erklärt.
Kistler, der selbst Vorstand einer Kinderinitiative (KwF – Kinder werden Freunde e.V.) ist, hatte Andreas Marquardt in einer TV-Talkshow gesehen und war so fasziniert von diesem Mann und seiner Geschichte, dass er ihn in Berlin besuchte und ihn heuer als Referent zu seiner Veranstaltung einlud.

Die Hälfte des Erlöses aus dem Wohltätigkeitsball, der am Samstag, den 22.8.09 im Hotel Zur Post stattfindet, kommt der Einrichtung Kind im Zentrum/Berlin zu Gute, die auch von Marquardt unterstützt wird.

Das Buch „Härte – mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ erschien 2007 im Ullstein Verlag und wird jetzt in der 4.Auflage gedruckt.
Eine Münchner Filmproduktion verfilmt das Buch in Kürze. (Sandra Schuster-Böckler)

Lemke und Marquardt

Lemke und Marquardt

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2 Kommentare

  1. Alexander Markus Homes Says:

    Dass auch Frauen Kinder missbrauchen, ist ein unstrittiger Tatbestand. Hierzu habe ich ein Buch geschrieben: „Von der Mutter missbraucht – Frauen und die sexuelle Lust am Kind“, das bei Books on Demand (ISBN 3-8334-1477-4) erschienen ist.

    ÜBER DAS BUCH:

    Ist die sexuell unbefriedigte Mutter, die, wenn nicht gar ausschließlich, so doch vorwiegend auf ihre Söhne und Töchter emotional und sexuell fixiert ist, bittere Realität? Das vorliegende Buch gibt auf etliche Fragen im Zusammenhang mit Frauen und Müttern, die Kinder sexuell missbrauchen oder misshandeln, umfassend Antworten. Es belegt vor allem, dass eben nicht nur Väter, sondern auch Mütter ihre Kinder sexuell missbrauchen; dass Mütter vorwiegend ihre Söhne missbrauchen und dies offenbar vorwiegend „zärtlich“ tun; dass sie ihre Töchter missbrauchen, sie dabei aber häufig quälen; dass allein erziehende Mütter unter den weiblichen Missbrauchern überproportional vertreten sind; dass viele männliche Sexualstraftäter erst zu solchen wurden, weil sie in der Kindheit durch die eigene Mutter sexuelle Gewalt erfahren haben; vor allem aber, dass Mütter und überhaupt Frauen als Kindesmissbraucherinnen in der Gesellschaft, in den Medien und in der Forschung kaum wahrgenommen werden. Wie das hier vorliegende Buch beweist, muss mit Blick auf die dort aufgeführten Fakten die Geschichte des sexuellen Kindesmissbrauchs umgeschrieben, wenn nicht gar neu geschrieben werden. Hierfür spricht bereits folgender Tatbestand: Die Missbrauchsraten für weibliche Täter werden in internationalen Studien mit bis zu 80 Prozent und in nationalen (deutschen) Studien mit bis zu 40 Prozent angegeben. Dies zeigt unstrittig, dass in der gesamten Missbrauchsforschung und Öffentlichkeit dringend ein Umdenkungsprozess sowie eine Diskussion über Frauen und Mütter als Kindesmissbraucherinnen stattfinden muss. Dieses Buch ist ein Beitrag dazu.

  2. Sandra Schuster-Böckler Says:

    Vielen dank Herr Homes für diesen Kommentar. Ich werde Ihr Buch zu diesem Thema weiterempfehlen.

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