Sonntag, 03.08.2008 | 11:09 Uhr
Autor: molosovsky
Eine mächtig heruntergekommene Dunkelfantasy-Höllenwelt ist da der Phantasie des Schotten Alan Campbell, einem der Schöpfer des edlen Computerspielekunstwerkes »Grand Theft Auto«, als Debut entsprungen. Entegegen meiner sonstigen Gewohnheiten bei »Scar Night« mal zur deutschen Übersetzung gegriffen, und, mannomann, das Radebrech des Buches dient mir bei masochistisch-ermatteten Anwandlungen als willkommen kreislaufanregende Gemüts-Raspel. — Ahhh, wie munternachend der Schmerz doch ist! Die Pein versichert mir, dass ich noch lebe und noch nicht geschmolzen bin bei den äquatorialen Temperaturen!! Hosianna, ich leide!!! — Diese etwas perverse Lesehaltung fügt sich, wie ich meine, ganz gut zu einem mit entsprechendem Passions-Trash vollgestopftem Düsterszenario.
Der Einstieg von »Scar Night« macht gleich klar, dass hier der ganz große, episch-kriegerische Rahmen aufgezogen werden soll. Im achtseitigen Prolog beobachtet ein Priesterfuzzi sorgenvoll, wie zig Tempel-Assassinen einen Turm bestürmen, weil darin ein weiblicher Engel auf Remmidemmi-Amokkurs herumwütet. Die Szene endet, ohne dass man groß Schlau aus der Situation wird. Schnitt und Zwischentitel: ›Zweitausend Jahre später.‹ — Pflichtgemäß setzt das erste Kapitel nun sachte (sprich: fad) an, mit dem jugendlich-unschuldigen Protagonist Dill, seines Zeichens ein Erzengel, letzter in langen Linie von heiligen Tempeldienern. Ums kurz zu machen: die Art, wie Dill als Treuherzi aus dem Turmzimmer durch die allerseits verrostete, verdreckte und von Efeu überrankte Stadt Deepgate tüdelt, nervt. Da hilft es auch nix, dass er Mitgefühl für Schnecken hat, oder dass er mit seinem Erzengelschwert vor dem Spiegel coole Posen übt.
In Teil 1, wird mir erstmal die an Ketten über einem Abgrund hängende Stadt Deepgate vorgestellt. (Notiz: Entweder es liegt an meiner Blödheit, dass ich die Erklärung überlesen habe, oder es wird wirklich nicht klar dargestellt, woran die Ketten oben befestigt sind.) Da wimmelt es von Stadtteilnamen, die mal aufdringlich sprechend mal nichtssagend sind. Eine Figur, Mr. Nettle, einen hühnenhaften Lumpensammler, begleite ich als Leser ein zähes Kapitel lang, wie er den Leichnam seiner von einem Unbekannten ermoderten Tochter zum Tempel trägt (inklusive Klischee-Begegnungen mit kriminellem Gesindel, darunter »…ein schwerer Karl, mit dem Gesicht eines Taschendiebes«, blinden Bettlern und gerissenen Blumenverkäufern). — Die Toten von Deepgate werden nämlich durch die Tempelmanschaft zeremoniell in den Abgrund gekippt. Das erklärt sich mit dem geschichtlichen Hintergrund der herumhängenden Stadt: Vor tausenden von Jahren fand ein Himmelskrieg statt, bei dem einige Erzengel unter der Führung von Ulcis gegen die Himmels- und Muttergöttin Aylen revoluzzten, jedoch unterlagen. Seitdem warten die gefallenen Engel in der Abgrundstadt Deep und lassen sich von den darüber baumelnden Bewohnern Deepgates verehren. Das Manegement dafür liegt bei der Kirche, geleitet von einem alten Prespyter (über den dauernd gesagt werden muss, dass er alt, senil und zerbrechlich wirkt, oder zumindest, dass er diesem Eindruck absichtlich Vorschub leistet). Ziemlch bald wird geklärt, dass die Kirche mit ihrem imperial-militärischem Apperat alles andere als eine heilsbringende, gütige Herrschaft ausübt. Es wimmelt nur so von bratzig gerüsteten heiligen Kriegern, Tempelwachen, und oben schon angesprochenem ›Rückgrad‹ der schlagenden Kirche, dem Assassinenorden der ›Spine‹. Unten in Deep warten die gefallenen Engel der Zeit ihrer Rache entgegen und sammeln fleißig die Seelen der Runtergekippten für ihr Heer, oben dezimieren die Unterdrückertruppen von Deepgate von Luftschiffen aus mit Giftgas, Brandbomben und Viren die umliegenden primitiven Stämme.
Mr. Nettle bleibt der einzige Charakter aus dem einfachen Volk, und so muss er alleine alles an Wut auf das Regime und Armutsleiden des im Schmutz darbenden Pöbels zum Ausdruck bringen, was nötig wäre, um die Deepgate-Stadt mit Glaubwürdigkeit zu erfüllen (und natürlich reicht sein Part dazu bei Weitem nicht). — Ansonsten treten neben dem harmlosen Dill und dem alten Presbyter Sypes noch öfter auf:
Der Roman wird erdrückt von zu vielem gewollt Coolem, was um so misslicher erscheint, da man zudem mit Campbells meist platter Schreibe ein Metaphern-Bullshitbingo de luxe spielen kann. Ob das schon im Original so ist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich wurde durch die Übersetzung von Jean Paul Ziller dieses Übel aber eher noch intensiviert, beispielsweise wenn Figuren sich statt ›fester‹ eben ›härter‹ von etwas abstoßen. Sicher bin ich mir in meinem Urteil, dass die Schmerz-, Verfalls- und Düsternis-Athmo des Buches sich so gar nicht mit den immer wieder eingestreuten (sarkastisch-zynischen) Witzelein verträgt. »Scar Night« wäre ein sehr respektable Leistung, wenn ein Teenager das Buch geschrieben hätte. Mir aber bleibt nur, einzugestehen, dass mein innerer Teenager zwar durchaus mit einigen Themen und Athmos sympatisiert, aber letztendlich enttäuscht wurde vom fehlenden erzählerisch-sprachlichen Raffinesse, der Seichtheit der Charaktergestaltung und den sich auf fatale Art ergänzenden, nämlich sich gegenseitig schwächenden Stimmungs-Strömungen des Buches.
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Eine erweiterte Fassung dieser Rezension findet sich in der »Molochronik«. Dort gibt es auch eine kleinem Reigen mit stilistisch-sprachlichen Beknacktheiten.
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Alan Campbell: »Scar Night — Kettenwelt-Chroniken 1« (»Scar Night — Volume One of the Deepgate Codex«, 2006), aus dem Englischen von Jean Paul Ziller; 608 Seiten; Goldmann Taschenbuch 2007; ISBN: 978-3-442-46270-4.
Tags: Belletristik: Phantastik, Belletristik: Phantastik, Dark Fantasy, Engel, Genre, Krieg, Mord, Scar Night
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