Samstag, 12.11.2005 | 17:01 Uhr

Autor: Christian Köllerer

Thomas Hobbes: Leviathan. Erster und zweiter Teil.

Es ist gar nicht so einfach, eine vollständige und gute Textausgabe zu finden. Es scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass immer nur die ersten beiden Teile publiziert werden. So hatte ich in meiner Bibliothek eine englische und eine deutsche Ausgabe, die beide dieses Manko aufwiesen. Die Ausgabe des Meiner Verlags scheint vollständig zu sein und wartet inzwischen in meiner Buchhandlung auf mich. Dritter und vierter Teil bleibt also nachzutragen.
Liest man den „Leviathan“ zum ersten Mal komplett, leuchtet einem die Berühmtheit dieses Buches schnell ein. Er kannte nicht nur Galileo Galilei persönlich, sondern versuchte seine Individual- und Sozialphilosophie auf eine methodisch ähnlich feste Grundlage zu stellen. Stellenweise liest er sich wie ein analytischer Sprachphilosoph:

Ebenso vielfach kann man auch die Sprache mißbrauchen, nämlich erstens, wenn man wegen der schwankenden Bedeutung seiner Worte seine Gedanken widersinnig aufsetzt […] Zweitens, wenn man die Worte figürlich, d.h. in einem anderen Sinn gebraucht und so andere betrügt. Drittens, wenn man durch Worte Absichten zu haben haben vorgibt, die man nicht hat […]
[S. 30]

Daraus leitet er folgende Forderung an die denkende Zunft ab, die sich bis heute noch nicht zu allen herumsprach:

Bei Erlernung wissenschaftlicher Kenntnisse zeigt sich also einer der vorzüglichsten Vorteile der Rede darin, daß man die Worte richtig definiert, sowie hingegen einer der vornehmsten Nachteile darin besteht, daß man entweder falsche oder gar keine Definitionen festsetzt. Dies ist die Quelle der falschen und vernunftwidrigen Sätze, durch welche diejenigen, die nicht durch eigenes Nachdenken, sondern durch bloßes Bücherlesen sich unterrichten wollen, bei ihrer Unwissenheit gewöhnlich um so schlechter wegkommen, al sim Gegenteil andere bei gründlicher Einsicht allemal besser fahren. Unwissenheit liegt mitten zwischen gründlicher Wissenschaft und irriger Lehre.
[S. 34]

Wer die Situation an den damaligen Unversitäten kennt, wird dies auch als notwendige Polemik gegen spätscholastische Umtriebe verstehen.
Dieser Enthusiasmus für die neuen Denkmethoden schlägt im Konzept seiner Sozialphilosophie zum größten Nachteil um. Hobbes braucht ein höchstes Prinzip (ähnlich einem Naturgesetz), von dem er bei seinen Überlegungen ausgehen kann. Das ist für ihn der oberste Herrscher, welcher seine absolute Machtfülle durch einen Vertrag von seinen Untertanen übertragen bekam. Grund dafür ist laut Hobbes der unerfreuliche Naturzustand ohne Staat, wo Gewalt an der Tagesordnung ist und jeder mit jedem in Konflikt steht. Hobbes liegt mit dieser Annahme sicher näher an der anthropologischen Wahrheit als später Rousseau, der sich den Naturzustand der Menschheit als ein arkadisches Schäferstück vorstellte, in dem edle Naturmenschen selbstlos durch humane Taten glänzen. Trotzdem vernachlässigt er den für die menschlichen Gattung wichtigen Aspekt der Kooperation (was natürlich nicht ausschließt, dass diese menschlichen Kooperativen untereinander wieder im Clinch liegen).
Behält man das bei der Lektüre im Kopf, ist man erstaunt über die Vielzahl an stringenten Überlegungen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass man so viele gute Argumente (auch in einem technischen Sinn des Wortes) für die Regierungsform der absoluten Monarchie finden kann. Geistesgeschichtlich kann man den Versuch, eine systematische Staatslehre nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu entwickeln, nicht hoch genug einschätzen. Bin schon gespannt auf die beiden nächsten Teile.

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