Sonntag, 02.10.2011 | 10:07 Uhr

Autor: JosefBordat

Ein Buch für (fast) alle Fälle

Die Spielpädagogin Gabriele Meisner präsentiert eine umfangreiche Sammlung von Spielideen.

 

Schach, Murmeln, Verstecken, Fangen. Das Spiel begeistert seit Jahrtausenden die Menschen und bildet in der Unterschiedlichkeit seiner konkreten Ausprägungsformen einen eigenen kulturellen Habitus, der sich einerseits durch Zweckfreiheit und Mangel an Ernsthaftigkeit („Es ist ja nur ein Spiel!“), andererseits durch große symbolische Bedeutung auszeichnet. Einige Spielformen – man denke an das Fußballspiel – haben mittlerweile auch einen Eigenwert, der jedoch das Spielerische gerade in Frage stellt. Geht es um Geld, ist schnell die Unschuld des Spiels in Gefahr. Das zeigen professionell betriebene Sportspiele ebenso wie Wett- und Glücksspiele, die Menschen in Sucht und letztlich in den Ruin führen.

 

Das ganze Leben lässt sich als „Spiel“ begreifen, doch das zeitlich und räumlich begrenzte Spiel im engeren Sinne verdichtet menschliche Erfahrungsqualitäten. Siegen, verlieren, Glück, Pech, Kooperation und Konkurrenz – all das sind Modi des Miteinanders, die beim Spiel ebenso vorkommen wie im „echten Leben“, im Spiel jedoch lokal und temporal pointiert. Daher ist das Spiel eine Art Simulation komplexer lebensweltlicher Zusammenhänge, die wie im Zeitraffer Schicksalswendungen abbildet und dabei nicht zuletzt den Charakter des Spielenden offenbart. Das bedeutet: Wer einen Menschen kennenlernen will, sollte mit ihm spielen. Planspiele bilden denn auch seit geraumer Zeit den Rahmen für Personalauswahl und Leistungsnachweis.

 

Im Spiel kann man sich insoweit bewähren, aber auch viel lernen. Deshalb ist das Spiel ein Kernelement jeder Pädagogik. Spielformen können erwünschte moralische Verhaltensmodi fördern oder hemmen. Spielend lernen, spielerisch zu neuen Erkenntnissen kommen, das ist für Kinder, aber auch für Erwachsene ein sicherer und angenehmer Bildungsweg.

 

Um aber für unterschiedliche Situationen geeignete Spielideen parat zu haben, braucht man einen Fundus an unterschiedlichen Spielvarianten, muss die Spielregeln kennen und auch die daraus zu entwickelnden Optionen für den Spielverlauf. Es gilt nämlich einzuschätzen, ob für eine bestimmte Gruppe – man spielt am Besten in Gesellschaft – ein Spiel geeignet ist oder nicht. Das ist eine Frage der Gruppengröße, des Alters, aber auch der Vorerfahrung, des sozialen und kulturellen Kontextes und sicher auch des Anlasses. Handbücher geben hier einen Überblick und liefern wertvolle Hinweise.

 

Ein solches Handbuch liegt mir nun zur Besprechung vor: Das große Spielebuch von Gabriele Meisner, Spielpädagogin aus Berlin. Die Autorin hat fast 200 Spiele gesammelt und beschreibt deren Ideen und Regeln, stellt übersichtlich die wichtigsten Kennzahlen zur Verfügung (Gruppengröße, Alter, Vorbereitung) und macht zudem nützliche Bemerkungen zum pädagogisch sinnvollen Einsatzes des Spiels, sei dieses nun ein Spiel für drinnen oder draußen. (Warum es allerdings statt „drinnen“ und „draußen“ unbedingt „indoor“ und „outdoor“ heißen muss, bleibt das Geheimnis der Autorin.)

 

Noch während ich diese Rezension schreibe, habe ich Gelegenheit, den Gebrauchswert des Buches ganz konkret in Erfahrung zu bringen. Ich sitze im ICE, eine gelangweilte Familie mit zwei Grundschulkindern hinter und eine Mutter mit ihrer etwa 8jährigen Tochter vor mir. Ebenfalls gelangweilt, nachdem das mitgeführte Bildersachbuch zweimal durchgeackert war. Was nun? Ich greife zu dem Buch, das ich bespreche. Mal sehen, was Frau Meisner empfiehlt! Gesucht: Spiele für 2 bis 4 Personen, für Kinder ab 8, die ohne großen Aufwand zu organisieren sind. Tatsächlich: Ich werde fündig. Die Auswahl an Ideen für Spontan-Spiele im kleinen Kreis ist allerdings nicht besonders groß. „Wer reagiert schneller“ , ein Geschicklichkeitsspiel, das sich mit etwas Phantasie auf ICE-Gegebenheiten anpassen lässt, dazu zwei simple Schreibspiele, die auch in Kleingruppen gespielt werden können – „Ein Kreuz mit den Worten“ (ab 2 Personen) und „Wortspielereien“ (für mindestens 3 Personen). Man muss allerdings Papier und Stifte zur Hand haben. Dann vielleicht doch eher „Ich sehe was, was Du nicht siehst!“?

 

Ohne Zweifel: Die Spiele in Das große Spielebuch sind eher für größere Gruppen ab 8 Personen gedacht, eignen sich also gut für Kindergeburtstage, Schulklassen und Kitas. Für Kleingruppen und Familien gibt es nur wenige Vorschläge, hier dürfte es auch schwer sein, mit Brettspielklassikern wie „Mühle“ oder „Mensch, ärgere dich nicht“ zu konkurrieren. Zumeist sind aber auch diese Familienspiele ab 4 Personen, so dass da in vielen Fällen schon die Nachbarn zu Besuch kommen müssen, um die Runde zu komplettieren.

 

Einige der Meisner-Spiele sind „Klassiker“. Ich kenne sie noch aus meiner eigenen Kindheit, wenn auch nicht unter den phantasievollen Namen, deren kreativer Zug den Nachteil birgt, dass die Bezeichnung oft nicht selbsterklärend ist. Dass hinter „Immer an der Wand lang“ der beliebte „Münzzielwurf“ versteckt ist, der uns damals die Schulpausen verkürzte, erschließt sich nur, nachdem man die Spielbeschreibung gelesen hat. So ist das Register im Anhang, in dem die Spiele dem Namen nach alphabetisch sortiert sind, auch nur demjenigen von Nutzen, der sich unter den Namen der Spiele etwas zu deren Inhalt vorstellen kann, d.h. dem, der die Spiele schon gut kennt. Besser wäre es wohl gewesen, einen nach den wichtigsten Kennzahlen geordneten Index zu erstellen, in dem die Spiele beispielsweise nach der Gruppengröße aufgelistet werden, um sich ausgehend von den Gegebenheiten vor Ort schnell und bequem einen Zugriff auf geeignete Spielideen zu verschaffen.

 

Einiges ist aber nicht nur dem Namen nach neu. Gabriele Meisner sorgt mit wirklich verblüffenden Spielideen, deren Witz oft im Detail steckt, für Abwechslung auf dem Spielplan. Interessant sind vor allem die Geschmacks- und Schätzspiele und die Spiele, die mit religionspädagogischer Absicht angeboten werden, die sich also mit kirchlichen Festen und christlichen Themen in Verbindungen bringen lassen. Hier bieten sich für die Gruppenstunden im Erstkommunion- oder Firmvorbereitungskurs gute Möglichkeiten, den „Lernstoff“ spielerisch zu erarbeiten: Das „Kirchenfeste-Quartett“ beispielsweise oder auch das „Bibelquiz“ sind echte Alternativen zum Frontalunterricht in Christenlehre.

 

Fazit: Das in Haptik und Optik sehr freundlich gestaltete Buch sei allen empfohlen, die nach den besten alten und guten neuen Spielideen für die (sozial)pädagogische Arbeit mit Kindern- und Jugendlichen suchen, vor allem (aber nicht nur) im Raum der Kirche.

 

Bibliographische Daten:

Gabriele Meisner: Das große Spielebuch. Für Familien und Gruppe, drinnen und draußen, Feste und Jahreskreis, daheim und unterwegs
Leipzig: St. Benno (2011)
120 Seiten, EUR 14,50
ISBN-13: 978-3746230610

 

Josef Bordat

Trackback: https://blog.literaturwelt.de/archiv/ein-buch-fur-fast-alle-falle/trackback/

Kommentarfunktion geschlossen.

bLogin
Second-Hand Grabbelkiste zugunsten des ligatur e.V. bei facebook.
Literaturwelt. Die Page. | Promote Your Page Too

Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos

Kostenlos aktuelle Artikel per E-Mail:

Tagcloud
Empfehlungen
Willkommen im Literaturwelt-Blog, dem Blog rund um Literatur - Live von der Buchmesse in Frankfurt und auch den Rest des Jahres.
Mehr Informationen zum Blog findest Du hier.
Artikelempfehlungen
Letzte Kommentare
Kategorien
Links / Blog'n'Roll (Zufallsausw.)


Statistik

literaturwelt.de & carpe.com | über blog.literaturwelt | Autoren | Archiv | Impressum | RSS | Werbung